Bittersüßer Sieg für Merz: Deutschlands designierter Kanzler muss vorsichtig sein mit seinen Wünschen: MAGGIE PAGANO
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Von MAGGIE PAGANO
Aktualisiert:
Ausnahmsweise haben die Umfragen recht behalten: Die deutschen Wähler haben ans Eingemachte gegangen und etwas ausgelöst, was man nur als politisches Erdbeben bezeichnen kann.
Mit einer erstaunlichen Wahlbeteiligung von 83 Prozent war die rechtspopulistische Alternative für Deutschland der Star der Wahl. Sie verdoppelte ihren Stimmenanteil und landete auf dem zweiten Platz.
Die Linkspartei konnte deutlich zulegen, während die Grünen einige Plätze einbüßen mussten. Die Wähler wandten sich gegen die Mitte-links-Partei des amtierenden Bundeskanzlers Olaf Scholz, die ihre schlimmste Wahlniederlage in der Geschichte erlitt.
Damit ging Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU und ihrer bayerischen Schwesterpartei CSU, mit 28,5 Prozent der Stimmen als klarer Sieger hervor, allerdings blieb er hinter den erhofften 30 Prozent zurück.
Dennoch ist es ein bittersüßer Sieg für Merz, der ihn in eine prekäre Lage bringt. Nie zuvor in der deutschen Nachkriegsgeschichte hat es eine andere Partei als CDU und SPD bei den Bundestagswahlen unter die ersten beiden Plätze geschafft.
Und noch nie zuvor war Deutschland so gespalten, die Parteien der Mitte so unter Druck, und die Wähler wandten sich den Extremen zu, sowohl links als auch rechts. Und, wie die AfD-Wahl zeigte, zwischen Ost und West.
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Koalition: Die Christdemokraten von Friedrich Merz, ihre bayerische Schwesterpartei, die Christlich-Soziale Union und die Sozialdemokraten verfügen zusammen über 328 Sitze im 630 Sitze umfassenden Parlament
Diese Meinungsverschiedenheiten in der Wählerschaft sind von enormer Bedeutung, da sie die Farben der Regenbogenkoalition bestimmen werden, die Merz bis Ostern zusammenstellen will. Erst wenn der designierte Kanzler seine Partner versammelt, werden wir wissen, wie er mit den großen Themen umgehen wird, von Wirtschaftsreformen bis zu Migrationsmaßnahmen sowie mit der wachsenden Kluft mit den USA über die NATO und die Ukraine.
Kein Wunder, dass die Finanzmärkte nach der gestrigen anfänglichen Erholung nach Bekanntgabe der Ergebnisse so verhalten wirken. Sie sind genauso ratlos wie wir alle: Der Versuch, den Ausgang von Metz' Regenbogen zu erraten, ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Der 69-jährige Merz ist ein proeuropäischer Konservativer der alten Schule und überzeugter Atlantiker – angeblich vom Typ Ronald Reagan –, ein Wirtschaftsanwalt, der erst spät in seinem Leben zum Politiker wurde.
Ganz oben auf seine Liste hat der frühere BlackRock-Direktor bereits die Ankurbelung des deutschen Wirtschaftswachstums, die Lockerung von Unternehmensvorschriften, weitere marktwirtschaftliche Reformen, die Kontrolle der Migration und die Erhöhung der Verteidigungsausgaben gesetzt.
Doch Merz, der im Wahlkampf auch 100 Milliarden Euro an nicht finanzierten Ausgaben versprochen hatte, kann dies nur erreichen, indem er Deutschlands Schuldenbremse lockert, die für viele so heilig wie der Heilige Gral ist. Änderungen an der Bremse, die das Haushaltsdefizit des Bundes auf 0,35 Prozent des BIP begrenzt, erfordern eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag.
Merz hat angedeutet, er würde mit der SPD und den Grünen zusammenarbeiten, da diese höheren Ausgaben gegenüber am aufgeschlossensten seien. Scholz‘ Versuch, die Regel zu reformieren, war einer der Gründe für seine Niederlage.
Egal, mit wem Merz zusammenarbeitet – eine Zusammenarbeit mit der AfD hat er ausgeschlossen –, es wird keine leichte Aufgabe sein, Deutschlands Industriemacht wieder anzukurbeln. Das Land hat nun schon zwei Jahre des Niedergangs hinter sich.
Der verarbeitende Sektor leidet massiv unter der steigenden Inflation und den explodierenden Energiepreisen, nachdem das Land seine bisherige Abhängigkeit von russischem Gas aufgegeben und sich stattdessen teureren erneuerbaren Energiequellen zugewandt hat.
Die Exporte gehen weltweit zurück, vor allem nach China. Erst vor wenigen Monaten entließ VW Tausende von Arbeitern und schloss Fabriken mit der Begründung, man könne mit in China hergestellten Elektrofahrzeugen nicht mehr konkurrieren. Noch vor einem Jahrzehnt wäre ein solcher Schlag undenkbar gewesen.
Darüber hinaus hat das Land mit steigenden Rentenkosten zu kämpfen – ein Drittel aller Staatsausgaben floss im vergangenen Jahr in die Renten – und mit einer überalterten Bevölkerung.
Merz hat zudem angedeutet, dass er in der Atompolitik eine Kehrtwende machen und gegenüber China einen deutlich härteren Kurs einschlagen könnte.
Zwar hat er außerdem versprochen, den NATO-Verpflichtungen nachzukommen und die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des BIP anzuheben, zu Präsident Trumps jüngster Forderung nach fünf Prozent hat er sich jedoch noch nicht geäußert.
Einen Hinweis gab er jedoch schon. Angesprochen auf den Nato-Gipfel im Juni stellte Merz die Frage, „ob wir dann noch über die Nato in ihrer jetzigen Form reden werden oder ob wir dann viel schneller eine eigenständige europäische Verteidigungsfähigkeit aufbauen müssen“.
Sollte das der Fall sein, würde der Aufbau einer solchen Armee noch mehr Milliardenausgaben erfordern. Merz müsste die Haushaltsbremse lösen und damit den Zorn Berlins und Brüssels riskieren und die AfD verprellen, die ihm unversöhnlich gegenübersteht und zum Schlagen bereit ist. Er muss vorsichtig sein mit dem, was er sich wünscht.
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