Die Renaissance der Perle – und was sie über Märkte, Mode und Meere verrät


Man Ray Trust / ADAGP Paris 2021
Im New Yorker Hafen feiert gerade das «Billion Oyster Project» Jubiläum. Seit zehn Jahren kümmert sich die lokale Initiative um die Wiederherstellung des Ökosystems der Hafengegend mittels Austern. Das Mündungsgebiet des East und des Hudson River war eines der biodiversesten Ökosysteme der Welt und die Austern eine wichtige Nahrungsquelle der ansässigen indigenen Bevölkerung.
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Das blieb auch so nach der Besiedelung durch die Europäer. Nur geriet die Auster in den folgenden 400 Jahren vom nachhaltigen proteinreichen Grundnahrungsmittel der Armen zur lukrativen Delikatesse, mit der New York fast die ganze Welt belieferte. Bis keine Austern mehr da waren und in der Folge das Ökosystem kollabierte und das Meer zur Müllhalde verkam.
Eine Stadt baut auf AusternDas «Billion Oyster Project» will diese Entwicklung rückgängig machen, indem es wieder Austernbänke ansiedelt. Das «Baumaterial» dafür liefern die Schalen gegessener Austern aus am Projekt beteiligten New Yorker Restaurants. Die harten und kalziumreichen Muschelschalen landen so nicht mehr auf der Mülldeponie, sondern bilden das ideale Fundament, auf dem Austernlarven andocken und wachsen können.
Über sechs Millionen Kilogramm Austernschalen wurden im Atlantik vor dem Big Apple bereits verbaut. Die entstandenen Riffe bieten Lebensraum für Hunderte von Arten und können dazu beitragen, New York City (und, wenn das Projekt Schule macht, in Zukunft auch andere Küstenstädte) vor Sturmschäden zu schützen, indem sie den Schlag grosser Wellen abmildern, Überschwemmungen reduzieren und die Erosion entlang der Küstenlinien verhindern. Ganz abgesehen von der wasserfilternden Wirkung der Austern.
Eine einzige Auster filtert pro Tag gegen 250 Liter Meerwasser. Zum Verzehr sind die wiederangesiedelten New Yorker Austern dieses Mal nicht gedacht, und Perlen produzieren die Muscheln der Art «eastern oyster» auch keine. Jedoch verdeutlicht das Projekt die Bedeutung der Mollusken für die Gesundheit der Meere.
Der Mann mit der PistazienperleJörg Gellner, der grösste Perlen-Direktimporteur Europas, erzählt in seinem Zürcher Büro vom New Yorker Austernprojekt. Gellner leitet seit knapp dreissig Jahren das von seinen Eltern Ende der 1960er Jahre gegründete Unternehmen mit Firmensitzen im deutschen Pforzheim und in Zürich.
Konsequent hat er die Firma auf die hochwertigsten Perlen, die es gibt, ausgerichtet: Es sind grosse weisse Südseeperlen, goldfarbene aus Indonesien, schwarze, graue und silberne aus Tahiti, solche in Grüngold, Bronze und Aubergine aus Fidschi, klassische Akoya aus Japan und eine neue rosafarbene Süsswasserzucht namens Ming aus dem Flusssystem des Jangtsekiang in der chinesischen Provinz Hunan. Jörg Gellner ist einer der wenigen, oft auch der Einzige, der die schimmernden Kugeln sowohl auf Auktionen als auch direkt bei den Perlenfarmern einkaufen darf.
Viermal pro Jahr reist Jörg Gellner nach Asien zu den bedeutendsten Auktionen, alle drei, vier Jahre ist er zudem selbst bei den führenden Produzenten wie dem inzwischen 90-jährigen Robert Wan in Französisch-Polynesien oder bei Justin Hunter auf Fidschi anzutreffen. Die persönlichen Kontakte ermöglichen es dem Perlenhändler, nur allerbeste sozioökologisch einwandfreie Ware einzukaufen. Dazu gehören die exklusiven, in irisierendem Grün wie Pfauenfedern schillernden Marutea-Perlen, die auf einem privaten Atoll von Robert Wan gedeihen.
Ein besonders prächtiges Exemplar in der Farbe Pistaziengold trägt Gellner als Talisman in seiner Hosentasche bei sich. Der Perlenexperte ist nicht nur fasziniert von der Schönheit dieser «Edelsteine der Meere», die aus nichts anderem als aus kohlensaurem Kalk, der organischen Hornsubstanz Conchin und etwas Wasser bestehen und deren Farbspektrum von der Farbe der Mantelsubstanz der Trägerauster bestimmt wird.
Jörg Gellner bezeichnet Perlen als «das einzige komplett nachhaltige Juwel», weil man der Natur durch die Austernzucht mehr zurückgibt, als man von ihr nimmt. «Perlen sind ein zu hundert Prozent natürliches Produkt, das von einem lebenden Organismus geschaffen wird, der eine der wichtigsten Aufgaben im maritimen Ökosystem hat», sagt Jörg Gellner. Er nennt es «blauen Luxus».
Die Folgen des Klimawandels machen den Perlenausternfarmern zu schaffen. «Das Ansteigen der Meerestemperatur lässt die Austern schneller altern, und sie produzieren in der Folge weniger und weniger grosse Perlen», erklärt Gellner. Ein dramatisches Beispiel seien die klassischen weissen Akoya-Perlen aus Japan. Vor fünf Jahren betrug die Jahresernte über 16 Tonnen, jetzt noch zirka 8 Tonnen.
Wetterphänomene wie Taifune können ganze Ernten und damit die Arbeit von vier, fünf Jahren vernichten – drei Jahre für die Aufzucht der Auster und weitere zwei Jahre bis zur Ernte der Perle. Da die Perlenauster eher warmes, sehr sauberes, nährstoffreiches und geschütztes ruhiges Wasser braucht, kann man die Austernbänke nicht beliebig verpflanzen. Die Bedingungen für die Perlenzucht sind komplex. Zudem wird es immer schwieriger, junge Leute zu finden für den aufwendigen und anstrengenden Beruf des Perlenzüchters. Das Traditionsgeschäft wird oft von den Eltern auf die Kinder übertragen. Letztere machen aber nicht mehr immer mit.
Die Akoya-RevolutionDoch vielleicht schafft es die gegenwärtig wieder steigende Nachfrage nach Perlen, den Beruf wieder interessant zu machen? 2023 hätten Chinesen den Perlenmarkt sozusagen leergefegt, sagt Jörg Gellner. Eine Mittelschicht aus 300 Millionen Menschen hat gelernt, was kostbar ist und was nicht. Sie ziehen kostbare Salzwasserperlen plötzlich den günstigen einheimischen Süsswasserperlen vor. Das hinterlässt Spuren auf dem Markt. Preissteigerungen von 30 Prozent pro Quartal beziehungsweise von 100 Prozent übers Jahr waren die Folge. 2023 war für Gellner ein schlechtes Jahr, in dem er fast keine einzige Perle gekauft hat. Zum Glück konnte er auf sein stattliches Perlenlager zurückgreifen.
Bis vor gut hundert Jahren waren Perlen wegen ihrer Seltenheit den Reichen und Mächtigen vorbehalten. Doch Ende des 19. Jahrhunderts war es mit dem exklusiven Anrecht der Oberschicht auf Perlen endgültig vorbei.
Dem Japaner Kokichi Mikimoto, Sohn eines Nudelrestaurant-Besitzers, gelang 1893 die erste halbkugelige Zuchtperle. Anfang der 1920er Jahre brachte sein unternehmerischer Ehrgeiz die ersten perfekt runden Akoya-Zuchtperlen hervor. Der Pionier sah sich zuerst mit Vorwürfen konfrontiert, billige Imitationen zu verkaufen. Man verlangte nach dem wissenschaftlichen Beweis dafür, dass sich die Akoya-Perlen nicht von Naturperlen unterscheiden. Kokichi Mikimoto beflügelte mit seinen Akoya-Zuchtperlen den neuzeitlichen Perlenkult.
Da war die junge Modedesignerin Coco Chanel, die Accessoires für mindestens so wichtig hielt wie die Bekleidung selbst. Mademoiselle Chanel war überzeugt, dass Perlen immer passen. Und von wegen «Diamonds Are a Girl’s Best Friends» – von Marilyn Monroe gibt es mindestens so viele Fotos, auf denen der Hollywoodstar Perlen trägt.
Jackie Kennedy trug ihre Perlen diskret und war ebenfalls überzeugt, dass diese immer angemessen sind. Als ihr Nachlass 2011 versteigert wurde, erzielte ihre berühmte Perlenkette einen Erlös von über 200 000 Dollar, obwohl sie sie einst für 35 Dollar gekauft hatte – es war Modeschmuck.
Die Designerin, die Perlen aufschnittEine, die Perlen kompromisslos modern inszeniert, ist Melanie Georgacopoulos. «Meine Reise mit Perlen begann am Royal College of Art während meines Masterstudiums», erzählt die in London und Hamburg lebende Designerin. Damals experimentierte sie mit vielen Materialien. Eines Tages wollte sie wissen, was eigentlich in Perlen steckt. Kurzentschlossen halbierte sie eine Perle. Die konzentrischen Kreise der Perlenschichten, die sie im Inneren entdeckte, faszinierten sie so sehr, dass sie diese Besonderheit im Schmuck für ihre Abschlussausstellung hervorhob und sich fortan auf Perlen konzentrierte.
Die Faszination hat sie auch fünfzehn Jahre später nicht verlassen. Georgacopoulos stellt erfreut fest, dass Frauen wieder häufiger Perlen tragen und Männer es ihnen gleichtun: «Perlen werden mehr und mehr als alltägliches Schmuckstück betrachtet, und seit kurzem tragen auch Männer Perlen. Ich finde, dass die Farbe und die runde Form von Perlen, die gemeinhin als femininer Schmuck gelten, sehr gut zur modernen Männlichkeit passen.»
Männer mit PerlenDen Trend von Männern mit Perlenschmuck hat der britische Sänger Harry Styles angestossen. Rei Kawakubo, die Designerin hinter dem exzentrischen Modelabel Comme des Garçons, ist der Ansicht, Perlen stünden Frauen gut, Männer sähen mit ihnen aber noch besser aus. 2020 hat sie zusammen mit dem japanischen Schmuckhaus Mikimoto, das den Namen des 1954 verstorbenen Zuchtperlen-Erfinders trägt, eine kleine Kollektion von Perlencolliers auf den Markt gebracht, zu stolzen Preisen bis zu 30 000 Pfund, die bei der Modeavantgarde Anklang fand.
Auch die hohe Juwelierkunst entdeckt Perlen neu: Mikimoto hat sich mit seinen Perlen im letzten Jahr in die Königsdisziplin der Haute Joaillerie gewagt. Die Kollektion «The Bows» mit Schleifenmotiven aus Perlen, Diamanten und farbigen Edelsteinen wurde mutig und aufmerksamkeitsbewusst in Paris, der Hochburg der Haute Joaillerie, präsentiert.
Tiffany & Co. spielt gerade in zwei Disziplinen mit Perlen. Zum einen in der modischen Echtschmuckkollektion, die Ende 2024 unter der kreativen Leitung des Musikers und Louis-Vuitton-Männermode-Designchefs Pharrell Williams entstanden ist.
Zum anderen in der neuen Haute-Joaillerie-Kollektion von Anfang 2025, für die bekannte Designs des berühmten Tiffany-Schmuckgestalters Jean Schlumberger neu aufgelegt wurden. Im Zentrum der Kreationen stehen dieses Mal nicht Edelsteine, sondern Perlen. Selbst der berühmte gelbe Tiffany-Diamant musste im bekannten Broschenmotiv einer grossen goldfarbenen Barockperle Platz machen.
Und auch Caroline Scheufele, Co-Präsidentin und Artistic Director des Hauses Chopard, liess sich für ihre neusten, im Januar vorgestellten Kreationen von Perlen verzaubern: «Ich liebe Perlen ganz besonders, wenn sie, mit Edelsteinen kombiniert, in Sautoirs und langen fliessenden Ketten, die fast bis zur Taille reichen, getragen werden. Es erinnert an die Eleganz des Art déco und an den kühnen Stil der goldenen zwanziger Jahre, die Francis Scott Fitzgerald in ‹The Great Gatsby› grossartig dargestellt hat», schwärmt Scheufele. Die Kugel rollt, und dieses Mal gibt es genug Anzeichen dafür, dass der Perlentrend bleibt.
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