Sprache auswählen

German

Down Icon

Land auswählen

Germany

Down Icon

Munich Economic Debates: Ist die wachsende Ungleichheit nur ein Mythos?

Munich Economic Debates: Ist die wachsende Ungleichheit nur ein Mythos?

Einst bestimmte das Rad der Fortuna darüber, ob man nur ein Bauer war oder ein Fürst. Dazwischen gab es wenig, erst recht nicht so etwas wie eine ökonomische Mittelschicht. „Doch heute sind wir reicher als unsere Eltern und Großeltern. Man denke an die Anzahl der Autos, die wir besitzen oder Urlaubsreisen, die wir uns in Europa leisten können“, sagt Daniel Waldenström. Die Industrialisierung habe nie dagewesenes Wirtschaftswachstum hervorgebracht und im Schritt mit der Demokratisierung der Gesellschaften in Europa zu mehr Reichtum und Gleichheit geführt. Waldenström ist Ökonom und Professor für Wirtschaftswissenschaften am Research Institute of Industrial Economics in Stockholm. Insbesondere Letzteres mag überraschen und ist doch eine der zentralen Erkenntnisse aus dem neuen Buch „Reicher und gleicher: Eine neue Geschichte über den Wohlstand im Westen“, das Waldenström kürzlich bei den Munich Economic Debates des ifo-Instituts vorstellte. Darin führt der Schwede auf, dass zwischen 1910 und 1980 breite Bevölkerungsschichten zunehmend am wachsenden Wohlstand in Europa und den USA teilhaben konnten. Dieser Trend setzte sich fort – und gerade die Zeit nach 1980 brachte laut Waldenström die schnellsten und umfassendsten Vermögenszuwächse der modernen Geschichte.

„Es war furchteinflößend, dieses Buch zu schreiben“, gesteht der Ökonom. Stellt er sich doch einer gängigen Meinung entgegen, die insbesondere der einflussreiche französische Ungleichheitsforscher und Bestsellerautor Thomas Piketty vertritt: Jene nämlich, dass die Ungleichheit in den vergangenen Jahrzehnten explodiert und ein Niveau erreicht habe, dass es seit dem frühen 20. Jahrhundert nicht mehr gab.

Das ist auch deshalb erstaunlich, da sowohl Piketty wie Waldenström ihre Erkenntnisse auf eine ähnliche Datengrundlage – historische Steuerdaten, Haushaltsumfragen und Volkszählungen seit dem 19. Jahrhundert etwa – stützen. Letztlich kommt Waldenström jedoch zu einer anderen Interpretation.

Es seien nicht nur die Reichen immer reicher geworden

„Langfristig betrachtet ist der Anteil des obersten Prozents am Gesamtvermögen deutlich gesunken oder zumindest nicht merklich gestiegen“, sagt der Ökonom. Er bezieht sich dabei auf den Zeitraum von etwa 1890 bis 2010, in dem der Vermögensanteil dieser Gruppe von rund 60 Prozent auf etwa 25 Prozent zurückging – eine Entwicklung, die Waldenström als Great Wealth Equalization, also als große Vermögensangleichung, bezeichnet. Differenzieren müsse man für die USA und Deutschland, gibt er zu. Verglichen mit europäischen Ländern sei hier die Ungleichheit ab 1980 stärker angestiegen und die Ungleichheit in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit relativ persistent geblieben.

Die Extreme von Reichtum und Armut gebe es zwar immer noch, bekräftigt der Ökonom, dennoch solle es nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass sich westliche Gesellschaften im vergangenen Jahrhundert zum Besseren gewandelt hätten. Dank politischer Reformen und der Ausbreitung kapitalistischer und demokratischer Strukturen sei es weiten Teilen der Bevölkerung nun möglich geworden, Vermögen aufzubauen. Und für diese Entwicklung stünden symbolisch die „Tech-Nerds“ aus dem Silicon Valley – allen voran, Bill Gates. Er verkörpere jenen erarbeiteten Reichtum, der florieren kann, weil das politische und ökonomische Umfeld dafür eine günstige Grundlage biete. Unternehmen wie Microsoft oder die Einkaufskette Walmart, die weltweit rund zwei Millionen Arbeitsplätze geschaffen hat, „heben die Gesellschaft als Ganzes an“, sagt er.

Aus der wachstumsfördernden Rolle des Unternehmertums argumentiert der Ökonom gegen harte Vermögens- und Unternehmenssteuern. „Wenn man etwas besteuern wollte, dann besser nicht das Kapital, sondern Kapitaleinkommen aus Dividenden zum Beispiel“, schlägt er vor. Anstatt regelmäßig von Umverteilung zu sprechen, müssten Gesellschaften den Vermögensaufbau „von unten“ denken, sagt er („Equalize by lifting the bottom“) und Bedingungen schaffen, in denen der Erwerb einer Immobilie zum Beispiel oder die Beteiligung an Unternehmen leichter zu erreichen seien. Waldenström befürwortet also Systeme, in denen Menschen sich eigenständig Kapital aufbauen können. „Wenn wir Armut bekämpfen wollen, sollten wir nicht auf Vermögen schauen, sondern auf Einkommen“, so der Ökonom.

süeddeutsche

süeddeutsche

Ähnliche Nachrichten

Alle News
Animated ArrowAnimated ArrowAnimated Arrow