Das ist der Gipfel!

Gipfel üben auf Menschen eine fast unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Das gilt nicht nur für Alpinisten, es gilt auch für Regierungspolitiker. Wann immer es eine Krise gibt, einen Umbruch oder auch nur etwas mit mehreren Beteiligten zu klären, muss ein Gipfel her.
Der Koalitionsausschuss (oder war es ein Gipfel?) am Mittwoch hat wenig Konkretes beschlossen. Eine Entscheidung aber konnten die vier Parteichefs verkünden: Es wird gleich zwei Gipfel geben – für die siechende Stahl-Industrie und für den kriselnden Automobilbau.
Dass die Spitzen der Koalition die bloße Ankündigung der Gesprächsformate als Erfolg verkaufen, ist bemerkenswert. Noch bemerkenswerter ist der Jubel, der tags drauf aus der SPD zu hören ist, die das Spitzentreffen zum Stahl gar per Parteitagsbeschluss gefordert hatte. Heureka, wir machen einen Gipfel!
Einen Mangel an solchen Konferenzen hat es allerdings auch in der Vergangenheit nicht gegeben. Der letzte Stahlgipfel: neun Monate her. Der letzte Industriegipfel: elf Monate. Und die Autobosse kommen fast jährlich im Kanzleramt vorbei. Wenn Gipfel das Wachstum beleben könnten, würde Deutschland einen beispiellosen Boom erleben.

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Dummerweise reichen freundliche Worte und schöne Bilder für die Wirtschaftswende nicht aus. Dafür muss man ins Handeln kommen – was auf Gipfeln selten geschieht. Beim letzten Stahlgipfel im Dezember etwa kündigte der damalige Kanzler Olaf Scholz (SPD) niedrigere Energiepreise an und schlug einen – Achtung – europäischen Stahlgipfel vor. Passiert ist seitdem nichts – außer einer Verschärfung der Krise.
Die Stahlindustrie leidet seit Jahren unter Nachfragerückgang, hohen Energiekosten, strengen Umweltauflagen sowie asiatischen Billig-Exporten. Nun kommen auch noch US-Strafzölle hinzu. Die Lage ist dramatisch, doch damit sind die Stahlkocher nicht allein. Autoindustrie, Maschinenbau, Chemie – die Krise ist inzwischen nahezu überall.
Die Erkenntnis, dass es Thyssenkrupp, Salzgitter, Saarstahl und die anderen ohne politische Unterstützung nicht schaffen werden, ist ebenfalls nicht neu. Selbst die möglichen Rettungsinstrumente sind bekannt. Die Kosten für Energie und Netze müssten noch deutlich stärker als bislang beschlossen sinken, der europäische Markt vor Dumping-Importen geschützt werden, und es müsste eine marktgängige Strategie für die Dekarbonisierung her.
Über all das wird seit Jahren geredet, weshalb die Zeit reif ist für Entscheidungen. Die Politik muss die Frage beantworten, ob sie die Rohstahl-Produktion in Deutschland halten will oder nicht. Für beides gibt es Gründe. Befürworter argumentieren mit Arbeitsplätzen, Wertschöpfungsketten und Resilienz. Gegner verweisen darauf, dass die Zahl der verbliebenen Jobs in der Branche mit 80.000 ziemlich klein und der Weltmarkt ziemlich groß ist.
Wenn man sozialdemokratische Hochofenromantik und wirtschaftsliberale Marktgläubigkeit beiseiteschiebt, wird man zu dem Schluss kommen, dass die überdimensionierte Stahlbranche kräftig schrumpfen muss, aber vielleicht nicht in Gänze verschwinden sollte. Die deutsche Volkswirtschaft braucht auch(!) Stahl, ihre wirtschaftliche Zukunft aber liegt sicher woanders. Es spricht vieles dafür, die Probleme jetzt mit überschaubarem Einsatz von finanziellem und politischem Kapital so gut es geht zu lösen – und sich dann um echte Zukunftsbranchen zu kümmern.
Vielleicht täte die Regierung gut daran, mal bei Bergsteigerlegende Reinhold Messner nachzufragen. Gipfeleuphorie sei ein Klischee für die Untengebliebenen, hat der einmal gesagt. Glücksgefühle gebe es erst nach dem Abstieg, wenn die Herausforderung gemeistert sei.
Das wäre mal ein Ansatz.
rnd