Wegen Preissenkungen bei Medikamenten: Roche stellt Milliardeninvestitionen in den USA infrage


Georgios Kefalas / Keystone
Der Basler Pharmakonzern Novartis kündigte vor gut einem Monat an, in den nächsten fünf Jahren 23 Milliarden Dollar in zusätzliche Fabriken und Forschungslabors in den USA zu investieren. Die Ankündigung des Konkurrenten Roche, im selben Zeitraum 50 Milliarden Dollar für die Kapazitätserweiterung auszugeben, liegt erst drei Wochen zurück.
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Doch bei Roche bangt man bereits darum, ob sich diese Investitionen rechnen werden. Die Finanzierung sei aus heutiger Sicht infrage gestellt, teilte der Konzern am Dienstag der NZZ mit. Der Grund dafür sind die deutlichen Preissenkungen bei Medikamenten, die US-Präsident Donald Trump am Vortag in Aussicht gestellt hatte.
Per Dekret wies Trump das amerikanische Gesundheitsministerium an, in den nächsten 180 Tagen Verhandlungen mit Pharmafirmen aufzunehmen. Eine Liste mit Richtpreisen soll das Ministerium bereits in den kommenden 30 Tagen erstellen.
Sollten die Medikamentenhersteller nicht «freiwillig» klein beigeben, will Trump auf dem Gesetzesweg die Pharmapreise nach dem Meistbegünstigten-Prinzip regeln. Das würde bedeuten, dass die USA nur noch so viel für Arzneimittel bezahlten, wie diese im Minimum in anderen Industrieländern kosten. Trump schwebt, wie er am Montag betonte, vor, dass sich Medikamente in den USA «um 50, 80 oder sogar um 90 Prozent» verbilligen werden.
Vergeblich auf guten Willen gehofft?Roche hatte ähnlich wie Novartis die Milliardenausgaben in den USA in der Hoffnung angekündigt, damit bei der neuen Administration für Goodwill zu sorgen. Trump hat seit seinem neuerlichen Amtsantritt schon mehrfach angedroht, branchenspezifische Zölle auf Pharmaprodukten einzuführen.
Diese würden Anbieter wie Roche und Novartis, die bisher einen Teil ihrer Medikamente aus ausländischen Werken in die Vereinigten Staaten einführen, schmerzhaft treffen. Je mehr die Firmen indes direkt in den USA für den amerikanischen Markt produzieren, desto stärker können sie die Zollbelastung reduzieren.
Was die Medikamentenpreise betrifft, prangerte Donald Trump schon in seiner ersten Amtszeit an, dass sie in Amerika im Vergleich mit anderen Ländern viel höher seien. Dabei hat er einen Punkt. So leuchtet es wenig ein, weshalb zum Beispiel die Abnehmspritze Wegovy in den USA mit einem Listenpreis von 1350 Dollar mehr als das Sechsfache als im Hochpreisland Schweiz kostet.
Einträgliches AmerikageschäftBis auf Generika sind die meisten Medikamente in den Vereinigten Staaten deutlich teurer als im Durchschnitt der OECD-Industriestaaten. Für die Hersteller macht dies das Amerikageschäft überdurchschnittlich profitabel. Laut Analytikern der britischen Grossbank HSBC erwirtschaften Medikamentenhersteller branchenweit 60 bis 70 Prozent des operativen Gewinns im US-Markt, während der Anteil des Umsatzes nur bei ungefähr 50 Prozent liegt.
Nach Einschätzung dieser Branchenbeobachter muss sich die Pharmabranche auf Preissenkungen von ungefähr 20 Prozent in den USA einstellen. Das sei eine «realistische» Annahme, finden sie. Zusammen mit den US-Konkurrenten Merck & Co., Bristol-Myers Squibb (BMS) und Amgen halten sie Roche für besonders verwundbar im Zusammenhang mit der Rabattschlacht, welche die neue US-Administration nun austragen will.
Roche verdankte im vergangenen Jahr fast 54 Prozent der Einnahmen in der Pharmasparte Geschäften in Amerika, bei BMS waren es sogar über 70 Prozent. Bei Novartis und weiteren europäischen Firmen wie AstraZeneca und Sanofi stufen die Analytiker der HSBC die Risiken wegen der geringeren Abhängigkeit von den USA nur als mittelgross ein.
Bei Roche hält man es wegen der starken Unsicherheit im Zusammenhang mit den angedrohten Preissenkungen und Zöllen für angebracht, den laufenden Kosten besonderes Augenmerk zu schenken. Roche werde sein diszipliniertes Kostenmanagement fortsetzen, sagt eine Sprecherin. Details dazu, in welchen Bereichen der Konzern Einsparungen plant, nannte sie nicht. Allerdings ist bekannt, dass Roche die Zahl der Projekte, die in der Medikamentenentwicklung verfolgt werden, deutlich gestrafft hat.
Umstrittene MittelsmännerNovartis wollte sich auf Anfrage nicht dazu äussern, ob die geplanten Massnahmen bei den Medikamentenpreisen die Finanzierung der angekündigten Investitionen infrage stellten. Allerdings wolle man sich für «notwendige Änderungen» einsetzen. Die Firmenführung meint damit vor allem das Zurückbinden der sogenannten Pharmacy Benefit Manager, deren Rolle auch Trump seit langem ein Dorn im Auge ist.
Diese Einkaufsorganisationen handeln im Auftrag von Krankenversicherern Rabatte bei der Beschaffung von Medikamenten aus. Sie stehen zugleich im Ruf, sich diese Dienstleistung teuer bezahlen zu lassen. Laut dem Branchenverband Pharmaceutical Research and Manufacturers of America (PhRMA) fliessen 50 Prozent der gesamten amerikanischen Medikamentenausgaben diesen Mittelsmännern sowie Versicherern und Spitälern zu.
Was diese drei Parteien bei einem einzelnen Medikament kassierten, übersteige nicht selten den Preis, der für dasselbe Produkt in Europa verlangt werde, schreibt der Verband in einer Medienmitteilung. Würde man ihren Anteil an den Medikamentenausgaben reduzieren, böte das die Chance, Preisunterschiede zwischen den USA und Europa «signifikant» zu reduzieren.
Lobbyisten sollen Widerstand leistenDie Lobbyorganisation geht zugleich mit Roche einig, dass eine Einführung der Meistbegünstigten-Klausel bei Pharmapreisen ein grosses Risiko für Investitionsvorhaben darstelle. «Der Import ausländischer Preise würde die Hunderte Milliarden gefährden, die unsere Mitglieder an Ausgaben planen.»
Roche will sich ähnlich wie Novartis gegen die Massnahmen der US-Regierung zur Wehr setzen und vertraut dabei auf die Schlagkraft der Lobbyisten. Der Pharmasektor besitzt von allen Wirtschaftssektoren die meisten Mittel, um sich in Washington für seine Interessen einzusetzen. Im vergangenen Jahr gab er fast 400 Millionen Dollar für die Lobbyarbeit aus, gefolgt mit deutlichem Abstand von der Elektronikindustrie, der Versicherungs- und Finanzbranche.
Den Lobbyisten dürfte dabei der Faktor Zeit entgegenkommen. Roche rechnet im laufenden Jahr noch mit keinen Änderungen bei den amerikanischen Pharmapreisen. Vor diesem Hintergrund behalten auch die bisherigen Geschäftsprognosen ihre Gültigkeit.
Juristische HindernisseBranchenbeobachter der UBS halten es für am wahrscheinlichsten, dass sich bei den US-Medikamentenpreisen der Status quo fortsetzt. Sie verweisen auf den Versuch Trumps, während seiner ersten Amtszeit die Meistbegünstigten-Klausel für eine Reihe besonders umsatzstarker Medikamente durchzusetzen.
Das Vorhaben wurde aber wegen verfahrensrechtlicher Aspekte vor Gericht gestoppt. Auch diesmal dürften juristische Hindernisse und solche bei der Umsetzung einer breiten Verwendung der Meistbegünstigten-Klausel im Wege stehen, meinen die Spezialisten der Schweizer Grossbank.
nzz.ch