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Trinkgeld: immer komplizierter, immer teurer

Trinkgeld: immer komplizierter, immer teurer

Frank Sinatra war dafür bekannt, dem Servicepersonal satte 100-Dollar-Trinkgelder (nach heutigem Tauschwert 86,10 Euro) zu geben. Das ist lange her, und damals waren hundert Dollar noch ziemlich viel Geld. Welche Trinkgeldregeln gelten heute und warum sind die Kunden verwirrt?

Viele würden nicht zögern, einem Kellner, dem Friseur, einem Barkeeper oder dem Gepäckträger, der einen schweren Koffer durchs Hotel trägt, Trinkgeld (auf englisch: Tip) zu geben. In vielen Ländern gibt es dafür klare, seit langem bestehende Normen.

Aber wie ist es mit dem Barista bei Starbucks? Oder der Person, die Ihre Bestellung am Fast-Food-Schalter aufnimmt? Wie sieht es an einem Selbstbedienungskiosk aus? To tip, or not to tip -Trinkgeld geben oder nicht?

Die Geschichte des Tip

Die meisten Historiker sind sich einig, dass das Trinkgeld geben im mittelalterlichen Europa begann, als Aristokraten ihren Bediensteten oder Landarbeitern Trinkgelder gaben. Im 19. Jahrhundert verschwand die Idee in Europa, war inzwischen aber in den USA angekommen. Und von dort schwappte die "Trinkgeldwelle" über den großen Teich wieder zurück.

Zwei Angestellte hinter der Bar eines Restaurants in Kanada, einer von ihnen schaut in die Kamera
Weltweit gehören Angestellte in der Gastronomie nicht zu den Besserverdienern und sind daher oft auf Trinkgelder angewiesenBild: Alexis Gacon/DW

Heutzutage geben Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen Trinkgeld: Um sich besser zu fühlen, um andere zu beeindrucken, den geringen Lohn des Servicepersonals auszugleichen oder weil sie darum gebeten werden. Trinkgeld wird in erster Linie von der Motivation getrieben, dem Kellner zu helfen oder guten Service zu belohnen, sagt Michael Lynn, Professor für Dienstleistungsmarketing an der Cornell University in den USA, der sich mit Trinkgeld beschäftigt.

Andere geben Trinkgeld, um einer vermeintlichen Trinkgeldpflicht nachzukommen, sagte Lynn der DW. Wieder andere sind eher eigennützig. Diese Menschen geben Trinkgeld, um in Zukunft bevorzugt bedient zu werden oder soziale Anerkennung zu erhalten oder zu behalten, so Lynn, der derzeit ein Buch zu diesem Thema mit dem Titel "Die Psychologie des Trinkgeldgebens: Erkenntnisse für Servicemitarbeiter, Manager und Kunden" schreibt.

Tip Digital

Neue Technologien verändern auch die Trinkgeldkultur. Früher ließ man ein paar Münzen oder Scheine auf dem Restauranttisch liegen oder warf den Tip in ein Glas neben der Kasse. Die zunehmende Nutzung von Karten, Apps und Touchscreen-Zahlungssystemen hat zusätzliche Trinkgeldoptionen geschaffen - und die Kunden verwirrt.

"Wir haben eine explosionsartige Zunahme der Trinkgeldanfragen erlebt, obwohl sich die Höhe der Trinkgelder nicht drastisch verändert hat", sagt Ismail Karabas, außerordentlicher Professor für Marketing an der Murray State University in Kentucky. Während der COVID-19-Pandemie haben sich viele Unternehmen noch stärker vom Bargeld verabschiedet und sind auf kontaktloses Bezahlen und Online-Zahlungen umgestiegen.

Die Kassenanbieter, die digitale Abrechnungsgeräte anbieten, haben sich entschieden, eine Trinkgeldanfrage zu integrieren. "Die Trinkgeldanfrage ist bereits in den Prozess integriert, daher müssen die Unternehmen diese Option ablehnen. Viele haben dies aus verschiedenen Gründen nicht getan, und dann kam es zu einer Inflation der Trinkgeldanfragen auf breiter Front", sagte Karabas, der sich auf Dienstleistungsmarketing, Trinkgeld und Werbung spezialisiert hat, zur DW.

Kunden unter Druck

Was sollten Kunden tun, wenn ihnen vorberechnete Trinkgelder von 15 Prozent, 20 oder 25 Prozent angeboten werden? Einfach einen Knopf drücken und fertig, sich Zeit nehmen, den eigenen Betrag hinzuzufügen oder gar nichts geben, während man der Kassiererin direkt in die Augen schaut?

Auf dem Display eines Kartenlesegerätes in einem Café werden anwählbare Trinkgeld-Optionen angezeigt
Hilfe oder Gängelei? Ein Kartenlesegerät in einem Café zeigt anwählbare Trinkgeld-Optionen anBild: Gregor Tholl/dpa-Zentralbild/dap/picture alliance

Kunden wählen oft eine voreingestellte Trinkgeldoption, anstatt die Schlange aufzuhalten. Dadurch haben Tech-Designer großen Einfluss auf das "Tippen". Lynn argumentiert, dass die Frage, wie sich das Design von Benutzeroberflächen auf das Trinkgeld auswirkt, ein "heißes neues Forschungsgebiet" sei. "Eine größere Trinkgeldoption erhöht den gegebenen Betrag - auch wenn dadurch der Anteil derjenigen sinken kann, die Trinkgeld geben", sagte er.

Designer haben einen Anreiz, Trinkgeld zur Standardoption zu machen. Dadurch erschweren sie es Kunden, kein Trinkgeld zu geben. Wer sich gegen ein Trinkgeld entscheiden möchte, muss herumfummeln oder fragen, wie es geht. "Mehr Trinkgeld bedeutet ein besseres Einkommen für die Mitarbeiter, aber auch für die Tech-Designer, da sie pro Transaktion, die über ihre Systeme läuft, eine Gebühr erheben", fügte Karabas hinzu.

Was denken Trinkgeldgeber eigentlich?

Eine im Mai 2023 von YouGov in den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Dänemark, Schweden, Spanien und Italien durchgeführte Umfrage ergab, dass die überwiegende Mehrheit der Restaurantgäste in diesen Ländern fünf bis zehn Prozent Tip und nicht viel mehr geben würde. Die USA bildeten einen Ausreißer: Zwei Drittel der Trinkgeldgeber gaben 15 Prozent oder mehr hinzu.

Zwei Dollar-Scheine Geldschein liegen am 08.09.2010 in einem Hotelzimmer auf einem Zettel mit der Aufschrift "Thank you!"
US-Amerikaner (und nicht nur Frank Sinatra!) gelten als generöse TrinkgeldgeberBild: Jens Kalaene/dpa Themendienst/picture alliance

Die Umfrage ergab auch, dass viele Amerikaner in einem Restaurant trotz schlechtem Service Trinkgeld geben würden. Eine weitere im November 2023 veröffentlichte Umfrage des Pew Research Center zur amerikanischen Trinkgeldkultur befasste sich mit Trinkgeld und der sogenannten Trinkgeldinflation (auf englisch: Tipflation) in den USA.

Der Pew-Bericht ergab, dass 72 Prozent der Erwachsenen sagen, dass Trinkgeld von Servicekräften tatsächlich häufiger erwartet wird als noch vor fünf Jahren. Darüber hinaus gaben nur 34 Prozent der befragten Erwachsenen an, sie könnten problemlos erkennen, wann Trinkgeld tatsächlich angemessen sei.

Tipps für Tips

Wie geht man mit der neuen Trinkgeldkultur um? Zunächst sollte man sich informieren, wie die Situation vor Ort ist und wie Mitarbeiter bezahlt werden. Verdienen sie einen Mindestlohn, zu dem das Trinkgeld addiert wird? Oder liegt der Lohn deutlich unter dem Mindestlohn und das Trinkgeld ist nötig, damit das Nettogehalt aufgebessert wird? Mancherorts in den USA kann eine Bezahlung unter dem Mindestlohn für Mitarbeiter bedeuten, dass sie nur rund zwei Dollar pro Stunde verdienen.

Außerdem sollte der Trinkgeldgebende das System verstanden haben. Was bedeutet beispielsweise der 25-Prozent-Button in der App in Dollar und Cent?

Auch sollte sich niemand den wartenden Menschen hinter einem oder der Gruppe am Tisch unter Druck setzen - obwohl das zugegebenermaßen wahrscheinlich der schwierigste Teil ist, besonders bei einem Date.

Ein schlechtes Gewissen sollte ebenfalls kein Grund für Trinkgeld sein. "Trinkgeld aus schlechtem Gewissen hinterlässt bei den Kunden einen schlechten Eindruck, macht sie verärgert und schreckt sie ab, wieder in dasselbe Lokal zu gehen", so Karabas.

Um verwirrende oder unerwartete Trinkgeldforderungen zu vermeiden, könnten Kunden auch einfach bar bezahlen, rät Karabas. So haben sie alles in der Hand - und sei es in Form eines brandneuen 100-Dollar-Scheins.

Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.

dw

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