Sprache auswählen

German

Down Icon

Land auswählen

Germany

Down Icon

Sie stand lange vor verschlossenen Türen: Dann öffnete sich die Chefin der Anwaltskanzlei Bratschi diese selbst

Sie stand lange vor verschlossenen Türen: Dann öffnete sich die Chefin der Anwaltskanzlei Bratschi diese selbst
Vielseitig und immer 1000 Dinge gleichzeitig im Kopf: Sandra De Vito, Managing Partnerin der Wirtschaftskanzlei Bratschi, sticht auch optisch aus der Menge dunkel gekleideter Anwälte heraus.

Rita Palanikumar für NZZaS

Wenn am 8. Juli an der Fussball-Europameisterschaft der Frauen Deutschland auf Dänemark und später Polen auf Schweden trifft, schaut sich Sandra De Vito die Spiele im Public Viewing in der Fanmeile der Zürcher Europaallee an.

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Als Kind wollte sie auch einmal Fussballerin werden, heute unterstützt die Managing Partnerin der Anwaltskanzlei Bratschi den Frauenfussball als Ambassadorin der Netzwerkorganisation «Fussball kann mehr Schweiz», in der unter anderem die Ex-Fussballerin Lara Dickenmann, der Fussballtrainer Urs Fischer oder die Ex-Bundesrätin Ruth Metzler-Arnold sitzen.

Die Aufgaben einer Ambassadorin mischt sie gekonnt mit ihrem Beruf. Im Jahr 2021 wurde Sandra De Vito einstimmig von der Partnerversammlung zu deren Prima inter Pares gewählt, wohlgemerkt steht seither erstmals eine Frau einer grossen Schweizer Wirtschaftskanzlei vor. In der neuen Position merkte sie bald, dass das Ende eines Quartals den Kunden und den Anwälten häufig auf die Stimmung drückt.

«Waren die Zahlen gut, setzte das alle unter Druck. Denn nun mussten alle wieder für das nächste Quartal von null anfangen. Waren die Zahlen schlecht, war die Stimmung sowieso schlecht. Ich aber wollte, dass sich alle unabhängig vom Resultat auf etwas freuen können, darum führte ich vor einem Jahr «the Qs» ein, erläutert sie.

Musik und Party als Teil ihres Lebens

«The Qs» sind Netzwerk-Partys, die sie zu Ende eines jedes Quartals gibt und dazu «interessante Menschen aus allen Branchen und Bereichen» einlädt. Dazu gehören Politiker, Künstler, Wirtschaftsführer, aber auch immer wieder Sportlerinnen, Trainer, Funktionäre und Sponsoren, führt De Vito aus. Ab 18 Uhr wird jeweils im Zürcher «Club Bellevue» getanzt, geplaudert, gegessen und genetzwerkt. An diesem Anlass hätten alle Freude, sagt De Vito.

Sowieso, die Freude. De Vito betont, wie wichtig es für sie ist, «Freude zu kreieren». Ein ungewöhnlicher Satz aus dem Munde einer Anwältin, ein noch ungewöhnlicherer für eine Führungsperson. Gewöhnlich aber ist sowieso kein Wort, das man mit der lebendigen, herzlichen und breit interessierten Frau in Verbindung bringt. Schon optisch sticht sie von weitem aus der Menge einer sonst meist konservativ und dunkel gekleideten Anwaltsmeute heraus.

Die Wurzeln von De Vito liegen in Süditalien, der Grossvater kam als Saisonnier in die Schweiz, De Vito bezeichnet sich selbst als «typische Seconda», der Fokus daheim in Dübendorf lag auf der Ausbildung und darauf, dass sie und ihr jüngerer Bruder hart dafür arbeiteten, die Chancen in der Schweiz zu nutzen, erinnert sie sich. Das Geld war knapp, doch war die Familie Teil der grossen italienischen Gemeinschaft, wo oft Feste gefeiert wurden und der Vater als DJ auflegte.

Lange verläuft die Karriere von Sandra De Vito sehr gradlinig. Sie ist gut in der Schule, und nach einem kurzen Liebäugeln mit der Schauspielakademie und dem Journalismus entscheidet sie sich für das Jura-Studium. «Mein Vater sagte, mit Jura würde ich eine gute Grundlage dafür kriegen, wie der Staat, die Wirtschaft und die Politik funktionieren.»

Es folgt das Studium an der Universität Zürich und an der Université Robert Schuman in Strassburg, danach das Masterstudium an der London School of Economics and Political Sciences. Studienbegleitend arbeitet sie in der Rechtsabteilung eines internationalen Biotechnologieunternehmens, danach steigt sie als Associate im Bereich Rechtsstreitigkeiten/Schiedsgerichtsverfahren bei einer renommierten grossen Wirtschaftskanzlei in Zürich ein.

Doch dann wird De Vito im Jahr 2005 schwanger. Geplant war, dass sie und ihr damaliger Mann das Arbeitspensum ein wenig reduzieren, bei ihm hätte dies die Entlassung bedeutet, also reduziert sie auf 60 Prozent. «Das war das Ende meiner Partner-Ambitionen bei dieser Kanzlei», erinnert sie sich. Es seien andere Zeiten gewesen damals, natürlich, so De Vito, doch habe sie nicht akzeptiert, dass ihr als Mutter plötzlich der Ehrgeiz abgesprochen wurde. Sie reicht die Kündigung ein und steigt bei einer mittelgrossen Kanzlei ein. Als sie aber mit dem zweiten Kind schwanger wird, wird ihr erneut beschieden, sie könne nicht Partnerin werden.

Neue Chance in kleiner Kanzlei

De Vito kündigt erneut – und wechselt nun als Partnerin in die kleine Kanzlei Rohner Rechtsanwälte. Louis Rohner verspricht ihr kein Einkommen, aber eine Defizitgarantie: «Falls ich am Jahresende meinen Anteil an den Kosten nicht vollständig hätte tragen können, würde er das Defizit abdecken. Ein Versprechen, das ihm viele Jahre zuvor sein Vater gegeben hatte. Das war für mich ein riesiger Vertrauensvorschuss», so De Vito. Sie nutzt die Chance, ein Defizit erwirtschaftet sie nie. Nach drei intensiven Jahren aber merkt sie, dass die Kanzlei für ihr Spezialgebiet zu klein ist. Und als Bratschi im Jahr 2012 anklopft, wechselt sie.

De Vito ist Expertin für internationale Schiedsgerichtsverfahren. Als solche ist sie in verschiedenen Rollen entweder als Vorsitzende, als Partei- und Einzelschiedsrichterin oder als Beraterin für Firmen tätig. Geraten sich zwei international tätige Firmen in die Haare, können sich diese bei zivilrechtlichen Streitigkeiten statt an ein staatliches Gericht an ein Schiedsgericht wenden, wo immer wieder neu international zusammengesetzte Richtergremien über Fälle oft unter Ausschluss der Öffentlichkeit urteilen.

Die Schweiz ist einer der wichtigsten Standorte für internationale Schiedsgerichtsverfahren. Bei solchen sei es extrem wichtig, dass der Name der Kanzlei und der Anwälte im Markt sichtbar sind, sagt De Vito. Anwälte dürfen in der Schweiz keine Werbung machen, Netzwerken ist somit entscheidend. Doch merkte sie auch bei Bratschi, dass weiterhin wichtige Türen für sie geschlossen blieben. «Denn der Brand von Bratschi war 2012 noch nicht das, was er heute ist», so De Vito.

Die Kanzlei firmiert erst seit 2008 mit Standorten in Basel, Bern, Genf, Lausanne, St. Gallen, Zug und Zürich unter diesem Namen. Entstanden ist Bratschi aus dem Zusammenschluss mehrerer mittelgrosser Kanzleien. Altehrwürdige Anwaltskanzleien spötteln damals über die «zusammengewürfelte Truppe». Heute ist Bratschi, mit über 100 Anwälten und gegen 200 Mitarbeitenden, eine der grössten Kanzleien der Schweiz.

«Eine Maschine bin ich nicht»

De Vito klopft in der Folge bei jeder Konferenz zum Thema Schiedsgerichtsbarkeit an, um selber auf ein Panel zu kommen. Doch hagelt es nur Absagen. Darauf entscheidet sie sich, sich die Türen selbst zu öffnen. Mit ihrem Kollegen Simon Gabriel beginnt sie, weltweit Konferenzen aus dem Boden zu stampfen. Die Kosten zahlen die beiden zu Beginn noch mit der privaten Kreditkarte. Doch ab jetzt steht sie als Expertin selber auf der Bühne und wird national und international immer sichtbarer und bekannter. Die von Gabriel und ihr gegründete Innovation Conference on International Arbitration des Swiss Arbitration Centre ist bis heute eine der bekanntesten Konferenzen zum Thema, zudem sitzt sie in mehreren internationalen Komitees. Jetzt kommen auch die Aufträge, und De Vito wird zu einer der umsatzstärksten Partnerinnen der Kanzlei, die ebenfalls an Visibilität gewinnt.

Die Frau weiss, was sie kann, und wirkt mit ihren Entscheidungen im Reinen. «Ich habe immer 1000 Gedanken gleichzeitig im Kopf», sagt sie, auf dem Sofa mit einem Buch treffe man sie nur selten an, lieber macht sie Sport oder produziert einen Dokumentarfilm mit dem Schweizer Lichtkünstler Gerry Hofstetter. «Geschichte macht stark» will Jugendlichen «auf ehrliche und nicht belehrende Art und Weise zeigen, auf was für einem unglaublichen Schatz wir hier in der Schweiz sitzen, mit unseren Grundrechten und unserer wirtschaftlichen und politischen Stabilität», so De Vito.

Eine Maschine sei sie trotz den vielfältigen Engagements aber nicht, auch Selbstzweifel habe sie. Diese geht sie auf ihre Art an: Seit zwei Jahren nimmt sie in Mollis Flugstunden in einem einmotorigen Zweisitzer, einem Breezer B 600. «Das Wissen, dass ich in den sicheren Tod fliegen würde, wenn nicht jemand neben mir sofort das Kommando übernehmen könnte, macht mich bescheiden», sagt De Vito. Die Fliegerei zeige ihr, dass sie als Chefin versuchen müsse, möglichst nicht aus einer Notsituation zu reagieren, sondern das nächste Manöver, das nächste Problem zu antizipieren.

nzz.ch

nzz.ch

Ähnliche Nachrichten

Alle News
Animated ArrowAnimated ArrowAnimated Arrow