Knall bei VW: Personalchef Gunnar Kilian muss gehen

Die großen Personalien regelt VW gern kurz vor den Werksferien: Der einstige Konzernchef Herbert Diess wurde vor drei Jahren um diese Zeit gefeuert, nun traf es Personalchef Gunnar Kilian: Der 50-Jährige verlasse den Vorstand mit sofortiger Wirkung, teilte das Unternehmen am Freitagnachmittag während einer Aufsichtsratssitzung mit. Er war bei Deutschlands größtem Industriekonzern für weltweit 680.000 Beschäftigte verantwortlich.
Im größten Umbau seiner Geschichte verliert VW eine zentrale Figur. Vor allem Kilian sollte den im Dezember vereinbarten Abbau zehntausender Stellen in Deutschland managen. Dabei hat er offenbar den Rückhalt seiner einstigen Weggefährten aus dem mächtigen Betriebsrat verloren.
Viele reagierten am Freitag in Wolfsburg geschockt, Kilian galt traditionell als Brückenbauer in einem Konzern voller Gräben und Fallgruben. Der 50-Jährige hat eine Karriere gemacht, wie sie wohl nur in Wolfsburg möglich ist: Als Journalist gestartet, wurde er nach dem Wechsel zu VW bald Pressesprecher des Betriebsrats und später Assistent des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand Piëch. Danach war er als Generalsekretär des Betriebsrats der wichtigste Stratege der Arbeitnehmerseite.
2018 wechselte Kilian ins Management und direkt an die Spitze: Personalvorstand eines Konzerns mit weltweit mehr als 650.000 Beschäftigten. Am Schluss war er neben Konzernchef Oliver Blume dienstältestes Mitglied im Vorstand und gleichzeitig Jüngster in der Runde. In einer Abschiedsmail an sein Team, die dem RND vorliegt, verweist er auf die gemeinsamen Erfolge, aber auch auf die vielen inneren und äußeren Krisen der vergangenen Jahre und das „enorme Pensum“.
Am Freitag bemühten sich alle Seiten um harmonische Trennung. Blume und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch dankten Kilian für die Arbeit und den „maßgeblichen Anteil an der Transformationsarbeit des Konzerns“. Betriebsratschefin Daniela Cavallo schrieb an die Belegschaft: „Sowohl die Belegschaft als auch die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat haben Gunnar Kilian viel zu verdanken.“
Doch die Beziehungen zu beiden Seiten bröckelten zuletzt – vor allem offenbar zur Arbeitnehmervertretung. Man habe eine anstehende Vertragsverlängerung für Kilian nicht mehr mittragen wollen, erklärte seine langjährige Weggefährtin Cavallo und zählte zu den Gründen den Großkonflikt im vergangenen Jahr: „Einer davon ist, dass Gunnar Kilians Name immer mit dem Aufkündigen unserer Tariffamilie im vergangenen Jahr verbunden sein wird. Wir haben das damals nicht ohne Grund einen historischen Tabubruch genannt.“
Der VW-Vorstand hatte im September die Jobgarantie für die gut 100.000 Beschäftigten in Deutschland gekündigt und mit Werksschließungen und Massenentlassungen gedroht. Es folgte der härteste VW-Tarifkonflikt seit Jahrzehnten, der erst kurz vor Weihnachten endete. Vereinbart wurde zwar eine neue Beschäftigungsgarantie bis Ende 2030, aber sozialverträglich sollen 35.000 Jobs abgebaut werden. Zudem bringt die Belegschaft erhebliche finanzielle Opfer.
Kilian war ein Architekt dieser Vereinbarung „Zukunft Volkswagen“ – und ahnte angeblich damals schon, dass sie ihn etwas kosten würde: „Ihm war bewusst, dass das nicht folgenlos bleibt“, heißt es in seinem Umfeld. Seit es an die konkrete Umsetzung der Sparbeschlüsse geht, soll es mehrere Konflikte mit der Arbeitnehmerseite gegeben haben. Immer mehr Beschäftigte hätten das „Weihnachtswunder“ als ihr „blaues Wunder“ erlebt. „In den vergangenen Monaten gab es mehrere Anlässe, die den gemeinsamen Blick nach vorne erschwerten“, sagte Cavallo in einer internen Mitteilung an die Belegschaft, die dem RND vorliegt.
Doch auch im Vorstand wuchs offenbar die Distanz zu Kilian, der im Konzern für seine diplomatischen Qualitäten und Verbindungen in alle Lager gerühmt wird. „Unterschiedliche Vorstellungen bei der Steuerung von Beteiligungsgesellschaften“ seien der Anlass für die Trennung, heißt es in der offiziellen VW-Mitteilung.
Daniela Cavallo
VW-Betriebsratsvorsitzende
Dahinter verbirgt sich die interne Diskussion um den möglichen Verkauf von Tochtergesellschaften und das Beteiligen von Partnern. So soll Geld für den Konzernumbau hereinkommen. Kilian hat sich aber mehrmals quergestellt und dürfte das zuletzt vor allem im Lkw-Bereich getan haben, für den er im Konzernvorstand ebenfalls verantwortlich war.
In Wolfsburg hieß es am Freitag, der Bruch habe sich intern schon länger angedeutet, sei dann aber doch überraschend schnell gekommen. Zwar hatten am Freitag alle Seiten sofort umfangreiche Stellungnahmen parat, und Kilian verabschiedete sich mit einer vorbereiteten Mail bei seinem Team – die Nachfolge ist aber noch ungeklärt. Im Konzernvorstand wird VW-Markenchef Thomas Schäfer das Personalressort kommissarisch übernehmen.
Laut Betriebsratschefin Cavallo ist die Suche zur Nachfolge aber bereits angelaufen. „In der Funktion des Arbeitsdirektors ist es nun an der Zeit für einen personellen Neuanfang“, erklärte Cavallo und betonte, dass bei Volkswagen traditionell die Arbeitnehmerseite das Vorschlagsrecht habe. Auch die IG-Metall-Vorsitzende Christiane Benner, stellvertretende Vorsitzende des VW-Aufsichtsrats, wird in der Mitteilung zitiert: „Die Nachfolgesuche hat auch für mich persönlich höchste Priorität.“
rnd