«Wir haben uns im Büro kennengelernt»: verliebt bei der Arbeit – und nun?


N. Tavernise / A24 via AP
1812 Stunden. So viel Zeit verbringen berufstätige Menschen in der Schweiz pro Jahr mit Arbeit. Mit ihren Kolleginnen und Kollegen schwitzen sie bei Projektpräsentationen vor dem Chef, flunkern bei der Mitarbeiterbefragung des HR, scherzen neben der Kaffeemaschine. Manchmal entstehen daraus Freundschaften. Und manchmal entsteht Liebe.
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Liebe und Arbeit. In einer rationalen Lebenswelt trennt man die beiden Bereiche. Das Büro ist der Ort für überlegte Handlungen, Schmetterlinge im Bauch sollen vor der Tür bleiben. Coco Chanel sagte einmal, es gebe eine Zeit für die Arbeit, und es gebe eine Zeit für die Liebe. Doch das Leben folgt keinem Terminplan, und der Mensch handelt häufig nicht rational, sondern emotional.
Auf der Arbeit finden viele Menschen ihre LebenspartnerSo verlieben sich viele Menschen im Büro – und finden da nicht nur einen Schwarm, sondern den Partner fürs Leben. Laut einer Befragung von 2000 Angestellten in den USA durch das Magazin «Forbes» flirtet die Hälfte der Menschen mit ihren Arbeitskollegen, 43 Prozent heiraten jemanden, mit dem sie arbeiten. Bei über einem Drittel erfährt der Arbeitgeber nicht von der Beziehung.
In vielen Fällen ist das unproblematisch, das Liebesleben ist schliesslich Privatsache. Doch bei gewissen Konstellationen kann es heikel werden. Spätestens seit einer Woche weiss die ganze Welt, dass man mit der Affäre klugerweise nicht ans Coldplay-Konzert geht – ein CEO wurde dort mit seiner HR-Chefin entdeckt, beide sind nun ihren Job los.
Was macht man also, wenn man sich in den Kollegen von der Rechtsabteilung verliebt oder in die Chefin? Um auf der sicheren Seite zu sein, sollten sich Büro-Verliebte vier Fragen stellen.
Frage 1: «Können wir unabhängig voneinander entscheiden?»
Ein Mann und eine Frau arbeiteten in der Compliance-Abteilung eines Finanzinstituts. Sie unterzeichneten zusammen Verträge, nahmen Berichte ab. Und sie waren ein Paar. Heimlich.
Das ist keine fiktive Geschichte, sondern ein echter Fall. Roger Rudolph betreute ihn. Er ist Professor für Arbeitsrecht an der Universität Zürich und forscht unter anderem zu Liebe am Arbeitsplatz. Über zwanzig Jahre lang arbeitete er in einer Anwaltskanzlei, und ihm fiel auf: Immer wieder schlitterten Klienten in Situationen, in denen romantische Beziehungen zu Versetzungen führten, zu Kündigungen, zu Streit – bis vor Gericht.
Das Paar in der Compliance-Abteilung sei bereits monatelang zusammen gewesen, habe es aber verheimlicht, sagt Rudolph. «Sie fuhren zusammen in die Ferien, und als sie zurückkamen, erzählte jeder der beiden eine andere Feriengeschichte. Sie führten ein Doppelleben.»
Bis sie aufflogen. Jemand hatte sie zusammen gesehen, informierte die Geschäftsleitung, das Paar gestand laut Rudolph die Beziehung. Da es eine entsprechende Weisung im Unternehmen gab, hätten sie ihre Beziehung sofort melden müssen. Doch das hatten sie nicht getan.
Die beiden erhielten die Kündigung. Und wehrten sich.
Der Fall landete vor dem Arbeitsgericht Zürich, Rudolph vertrat das Unternehmen. Er sagt: «Grundsätzlich ist eine Beziehung Privatsache und geht die Arbeitgeberin nichts an.» Es gebe aber Konstellationen, in denen das Informationsinteresse des Unternehmens überwiege. Wie in diesem Fall.
Für die Arbeit des heimlichen Paars waren die Unabhängigkeit und das Vieraugenprinzip von grosser Bedeutung, etwa wenn sie Verträge beurteilen sollten. Da die beiden ein Liebespaar waren, wurde infrage gestellt, ob sie diese Beurteilung noch unabhängig genug durchführen konnten. Beide Personen mussten das Unternehmen verlassen.
Bei Liebe am Arbeitsplatz wird von Fall zu Fall entschieden. Im Schweizerischen Arbeitsrecht gibt es keinen spezifischen Artikel, der Beziehungen am Arbeitsplatz regelt. Der Grundsatz der Treuepflicht verlangt, dass Arbeitnehmende die Interessen des Arbeitgebers wahren. Das kann in bestimmten Fällen eine Meldepflicht auslösen. Zusätzlich können Unternehmen interne «Compliance»-Regelungen aufstellen. Diese sind insbesondere in den USA verbreitet, wo Beziehungen am Arbeitsplatz strikter geregelt sind als in der Schweiz. Sie breiten sich aber auch hierzulande aus.
Rudolph sagt, sie wögen stets ab zwischen Persönlichkeitsschutz, also dem Recht auf Privatsphäre des Paars, und der Befugnis des Unternehmens, gewisse Regelungen aufzustellen und Informationen einzufordern.
Wenn Paare nicht mehr unvoreingenommen berufliche Entscheidungen treffen können, sollten sie ihre Beziehung dem HR oder der Geschäftsleitung offenlegen – erst recht, wenn dazu im Unternehmen Compliance-Regeln bestehen. Das bedeutet nicht, dass sie danach die Firma verlassen müssen. Möglich ist auch, dass eine Person die Abteilung wechselt. Oder bei gewissen Geschäften in den Ausstand tritt und zum Beispiel die Verträge nicht mit unterzeichnet.
Frage 2: «Haben wir eine Affäre, oder sind wir ein Paar?»
Aber ab wann ist klar, dass aus dem Flirt bei der Kaffeemaschine oder der Romanze nach dem Firmenausflug eine Beziehung geworden ist, die gemeldet werden muss? Es ist ein Graubereich.
Laut Rudolph seien gemeinsame Nachtessen oder ein einmaliges Rendez-vous nach der Betriebsfeier, nach dem beide Beteiligten wieder ihrer Wege gehen, in den meisten Fällen kein Problem. «Solange erst ein loser Kontakt besteht und noch gänzlich offen ist, ob und wie sich die Dinge entwickeln, gilt das meist nicht als meldepflichtige Beziehung.»
Sobald sich das Paar selbst als solches wahrnimmt und sich in einer meldepflichtigen Situation befindet, sollte es die Beziehung offenlegen.
Frage 3: «Können wir voreinander Geheimnisse bewahren?»
Riskant ist es, wenn Liebespaare in Branchen zusammenarbeiten, in denen die Geheimhaltung heikler Informationen eine grosse Rolle spielt – also etwa in der Finanzbranche, aber auch in der Pharmaindustrie, bei der Erfindungen geheim gehalten werden müssen.
Nicole Vögeli Galli ist Dozentin für Arbeitsrecht an der ZHAW und auf Compliance im Personalwesen spezialisiert. Sie sagt, zwei Personen könnten ein Verhältnis haben und sich zwar vornehmen, keine Geschäftsgeheimnisse auszuplaudern. «Aber das Risiko ist da, dass etwas herausrutscht.»
Erzähle etwa der HR-Chef seiner Partnerin, der CEO, etwas Nachteiliges über eine angestellte Person, könne das fatale Folgen für die dritte Person haben. Oder teile der Bank-Kundenberater heikle Informationen über seinen Privatkunden mit seinem Liebespartner vom Backoffice, sei das eine Geheimnisverletzung.
Vögeli Galli sagt, daher müsse das Paar in solchen Bereichen die Beziehung melden, damit das Unternehmen das Risiko abschätzen und nötigenfalls Massnahmen ergreifen könne.
Frage 4: «Ist jemand von uns dem anderen vorgesetzt?»
Verlieben sich zwei Menschen, die in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen, ist die Situation besonders kompliziert. Denn dann hat eine Person Macht über die andere. Eine häufige Konstellation ist noch immer der männliche Chef, der eine Beziehung mit der weiblichen Mitarbeiterin hat.
Denn in Schweizer Unternehmen sind zu zwei Dritteln Männer in Führungspositionen. Die hierarchisch tiefergestellten Personen sind häufig Frauen.
In der genannten Konstellation besteht das Risiko, dass sich die Mitarbeiterin aufgrund der direkten Abhängigkeit zu bestimmten Handlungen gedrängt sieht. Oder gar ausgenutzt wird und sich nicht traut, die Beziehung zu beenden, weil er sie entlassen könnte. Das Umfeld könnte zudem mutmassen, die Mitarbeiterin werde vom Chef bevorzugt, was ihre tatsächliche Leistung in Abrede stellen könnte.
Zur Abhängigkeit vom Partner kommt die Abhängigkeit von der Firma: Denn diese kann entscheiden, was passiert, wenn das Verhältnis bekannt wird. Sie kann verwarnen, versetzen, eine Person zum Gehen bewegen. Oder, wenn eine Meldepflicht verletzt wird, gar kündigen.
Zwar kommt es vor, dass der Chef abtritt, da er die Einhaltung der Compliance-Regelung am Ende verantwortet. Doch oftmals verlässt die tiefergestellte Person das Unternehmen.
Firmen haben denn auch einen Anreiz, dass die Person geht, die sie leichter ersetzen können. Es dauert lange, einen geeigneten Ersatz für eine Führungsperson auszuwählen und in die Position einzuarbeiten. Und auch machtpolitisch hat ein CEO aufgrund seines Standings bessere Chancen, sich durchzusetzen. Die Mitarbeiterin oder eine junge Person in einer Einstiegsposition ist schneller ersetzt.
Was die freie Entscheidung des Unternehmens ist, verstärkt die Unsicherheit für junge Menschen und Frauen am Arbeitsplatz. Letztere sollten sich deshalb fragen, welche Risiken die Beziehung mit sich bringt – und ob diese es wert ist.
Sich verlieben ist etwas Schönes. Und wo es passiert, kann man sich nicht aussuchen.
Die gute Nachricht an alle, die im gleichen Unternehmen, aber in unterschiedlichen Abteilungen arbeiten – und keine beruflichen Berührungspunkte, Abhängigkeiten oder möglichen Interessenkonflikte haben: Sie können ihre Beziehung frei ausleben. Ganz ohne Meldepflicht.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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