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Gesundheitswesen | Unbefristet in einem geschützten Raum

Gesundheitswesen | Unbefristet in einem geschützten Raum
Die Thüringer Stiftung zur Förderung der ambulanten ärztlichen Versorgung betreibt eigene Praxen. Das Modell entwickelt sich immer weiter.

Im Berufsleben von Barbara Knau liegen die meisten Jahre hinter der promovierten Ärztin, nicht mehr vor ihr. Das war schon so, als sie sich mit ihrem bisherigen Chef nicht darüber einigen konnte, wie es für sie in den nächsten Jahren beruflich weitergehen sollte. Also trennten sich vor einigen Monaten die Wege der Rheumatologin und ihres damaligen Arbeitgebers. Wie also weiter?

Jedenfalls war Knau klar, wie es bei der beruflichen Neuorientierung mit 60 Jahren nicht weitergehen sollte. »Ich hätte nicht mehr den Schritt in die Niederlassung gemacht«, so die Medizinerin. »Da habe ich mir einfach gesagt: Ich bin zu alt, das kann ich nicht mehr stemmen.«

Dass ihr dann die Möglichkeit eröffnet wurde, sich in einer Praxis der Thüringer Stiftung zur Förderung der ambulanten ärztlichen Versorgung in Gotha anstellen zu lassen, war deshalb genau das Richtige zur richtigen Zeit. Damit, sagt Knau, arbeite sie nun »in einem geschützten Raum«.

Damit ist eine Lösung für etwas gefunden worden, was für die Ärztin ebenso wie für die Menschen, die in der Region Gotha dringend eine Rheumatologie-Praxis suchen, auch einen unerfreulichen Ausgang hätte nehmen können. Die Anstellung der Ärztin in einer Stiftungspraxis ist ein Ausweis dafür, wie erfolgreich dieses Modell in Thüringen inzwischen angewendet wird – und dass es sich immer weiter entwickelt.

Die Kernidee der 2009 vom Freistaat Thüringen und der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen gegründeten Stiftung war und ist diese: Sie stellt in von ihr eingerichteten Praxen junge Ärztinnen oder Ärzte an, um ihnen den Einstieg in die Selbstständigkeit zu erleichtern. Die Mediziner müssen also zunächst keine großen Kredite aufnehmen, um eine Praxis erst einmal einzurichten oder zu kaufen.

Außerdem müssen sich die jungen Leute auch nicht unmittelbar mit den vielen anderen Dingen auseinandersetzen, die eine Selbstständigkeit – im Medizindeutsch: Niederlassung – unweigerlich mit sich bringt: Steuerfragen, Buchhaltungsfragen, Honorarfragen. Stattdessen können sich die Nachwuchsmediziner auf ihre Patienten konzentrieren, die Region kennenlernen, in der sie praktizieren – und dann langsam und behutsam in die Tätigkeit als niedergelassene Ärztin oder als niedergelassener Arzt wechseln.

»Dafür spielt das Alter der praktizierenden Ärztin oder des Arztes eine untergeordnete Rolle.«

Katharina Schenk Thüringens SPD-Gesundheitsministerin

Doch inzwischen ist dieses Konzept eben nicht mehr nur etwas für Menschen am Anfang ihres Berufslebens, sondern – siehe das Beispiel von Knau – auch etwas für erfahrene, lebensältere Mediziner. »An erster Stelle steht der Gedanke, dass es vor Ort wieder eine Arztpraxis gibt«, sagt Thüringens Gesundheitsministerin Katharina Schenk (SPD). »Dafür spielt das Alter der praktizierenden Ärztin oder des Arztes eine untergeordnete Rolle.« Das bedeutet freilich auch, dass es in dieser Erweiterung des Konzepts nicht mehr immer das große Ziel ist, dass sich die zunächst angestellten Mediziner am Ende auch wirklich selbstständig machen.

Nach Angaben des Geschäftsführers der Stiftung, Jörg Mertz, reagiert die Organisation mit dieser Erweiterung der Kernidee auch auf den deutlichen Wandel der Arbeitswelt und der Einstellung vieler Menschen zu ihrem Beruf. Längst nicht nur die seit Jahren viel zitierte Generation Z achtet nämlich inzwischen auf die berühmt-berüchtigte Work-Life-Balance, die mit einer Selbstständigkeit viel schwerer zu vereinbaren ist als mit einem Angestelltenverhältnis. Indem die Stiftung, sagt Mertz, seit inzwischen zwei Jahren auch flexible und unbefristete Anstellungen ermögliche, wolle sie Medizinern also auch moderne Arbeitsmodelle anbieten.

Und weil die Sicherstellung der medizinische Versorgung gerade bei einer überdurchschnittlich alten Bevölkerung wie der in Thüringen eine wahnsinnig große Herausforderung bleiben wird, denken Mertz und seine Leute schon über die nächste Erweiterung des Konzepts nach. Warum, so lautet eine der Kernfrage dieser Überlegungen, soll über die Stiftungspraxen nur die Ansiedlung von einzelnen Ärzten unterstützt werden? Warum so nicht auch medizinische Teams vor allem im ländlichen Raum ansiedeln, die zum Beispiel aus einem Arzt und einem anderen medizinisch Fachkundigen wie zum Beispiel einem Physiotherapeuten bestehen?

Bislang jedenfalls zeigen die Zahlen, wie erfolgreich das Konzept ist: Nach Angaben der Stiftung hat die Organisation seit ihrer Gründung insgesamt 18 eigene Praxen im Land eröffnet. Einige davon sind bereits an Ärzte übergeben worden, die dort zunächst angestellt waren und die sich mit der Übernahme niedergelassen haben. Andere dieser Praxen werden noch von der Stiftung betrieben, wobei die dort tätigen Ärzte dann bei ihr angestellt sind.

Zurzeit unterhält die Stiftung Praxen unter anderem in Creuzburg, Gamstädt, Gotha, Obermaßfeld und Wümbach. Und überall dort versorgen die dort tätigen Mediziner Menschen, die sonst sehr weite Wege zum Arzt zurücklegen müssten – wenn sie überhaupt irgendwo einen Termin bekämen.

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