Die Familie ist alles: So machte Kapitän Gianluigi Aponte seine MSC zur Herrscherin der Meere


«Sag nie jemandem ausserhalb der Familie, was du denkst.» Das Zitat stammt von Vito Corleone, dem Paten aus den Mafiafilmen. Aber auch der italienische Milliardär Gianluigi Aponte könnte es gesagt haben. Er ist einer der mächtigsten Reeder der Welt und residiert in Genf – genau wie sein Konzern MSC, der unter anderem die grösste Flotte von Containerschiffen auf den sieben Weltmeeren kommandiert.
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Weder Aponte noch seine Geschäfte haben etwas Mafiöses an sich. Doch wenn es um Verschwiegenheit geht und darum, wie die Familie als Fundament für das Business dienen kann: Da macht Aponte dem Paten Konkurrenz. Wenige Konzerne haben so viel Einfluss auf den Welthandel wie MSC, sind dabei so verschwiegen und zugleich so fest in Familienhand.
Ein Mann auf einer MissionDer Patron hat über mehr als fünfzig Jahre hinweg ein Imperium aufgebaut. Heute zählt die MSC-Firmengruppe weltweit über 200 000 Mitarbeiter und steuert nicht nur Frachter, sondern auch eine der weltgrössten Linien von Kreuzfahrtschiffen sowie Hafenanlagen in 31 Ländern. Ihr Umsatz beläuft sich auf Dutzende Milliarden Franken. Wie viel es genau ist, weiss kaum jemand ausserhalb des Konzerns.
Der mittlerweile 85 Jahre alte Gianluigi Aponte setzt alles daran, dass es so bleibt. Weil MSC an keiner Börse kotiert ist, muss die Gruppe nirgendwo Geschäftszahlen publizieren. Auf Medienanfragen heisst es in aller Regel: kein Kommentar. Interviews mit Mitgliedern der Familie Aponte sind seltener als Schaltjahre.
Apontes Sohn Diego führt das operative Geschäft der Gruppe. Seine Tochter Alexa ist die Finanzchefin. Der Schwiegersohn Pierfrancesco Vago leitet das Kreuzfahrtgeschäft. Die Schwiegertochter Elâ Aponte-Soyuer kümmert sich um die Hafenterminals. Gianluigi hält als Verwaltungsratspräsident alle Fäden in der Hand; er besitzt die eine Hälfte des Konzerns. Die andere Hälfte gehört seiner Frau Rafaela. Sie leitet auch die MSC-Wohltätigkeitsstiftung.
«La famiglia è tutto», besagt ein italienisches Sprichwort. Die Familie ist alles. MSC hat das verinnerlicht. «Die Mitarbeiter sind für uns wie Familie», erklärt Gianluigi Aponte in einem 2024 publizierten Firmenvideo. Und Familie bedeutet Verpflichtung: «Es ist wichtig, keine Fehler zu machen», fährt der Patron fort. «Jeder Mitarbeiter muss auf jeder Stufe der Beste sein, von der Reinigungskraft bis zum Kapitän. Das ist eine Mission.»
Auf dieser Mission ist Kapitän Gianluigi Aponte schon fast sein ganzes Leben. Der Kapitänstitel ist ihm so wichtig, dass MSC ihn bei offiziellen Publikationen immer wieder nennt. Er ist auch hart erarbeitet: Der 1940 geborene Aponte ist der Spross einer alten Seefahrerfamilie aus einem Küstenort in der Nähe von Neapel. Sein Vater starb früh. Gianluigi besuchte in Neapel die Marineschule und erwarb das Offizierspatent. Zunächst steuerte er Passagierfähren.
Aponte machte die Jobs, die andere nicht wolltenAuf einer dieser Fahrten, angeblich von Neapel auf die Insel Capri, lernte er in den 1960er Jahren Rafaela Diamant kennen. Seine spätere Frau stammt aus einer israelischen, in Genf ansässigen Bankiersfamilie. Das Paar kehrte nach Genf zurück, und Aponte versucht sich ebenfalls als Bankier.
Doch ein See ersetzt nicht die See. Bald zog es Aponte wieder auf die Brücke. 1970 nahmen Gianluigi und Rafaela ihr Erspartes in die Hand, liehen sich zusätzlich 200 000 Dollar und kauften ihr erstes Schiff. Es war ein alter deutscher Frachter, den Aponte in «Patricia» umtaufte – nach Rafaelas Mutter. Als Kapitän sei es immer sein Traum gewesen, ein Schiffsbesitzer zu sein, gab er zu Protokoll.
Die «Patricia» pendelte zwischen Europa und Afrika. «Wir transportierten alle Arten von Fracht. Was immer verfügbar war und wofür bezahlt wurde», sagte Aponte später. Er bediente Strecken, die andere Kapitäne nicht fahren wollten. Bald baute er sich eine Flotte auf – mit Schiffen, die andere Kapitäne nicht haben wollten, weil sie alt waren. Aber sie waren billig, und so unterbot Aponte die Preise der Konkurrenz.
Den zweiten Frachter benannte er nach Rafaela. So entstand die Mediterranean Shipping Company, kurz MSC. Genf wurde ihr Sitz, so wie es der Sitz der Familie war. Heute steht in Apontes Büro, mit Blick über den See in der Ferne, die Miniatur eines Segelschiffs. Ein solcher Zeuge der Vergangenheit war wohl nie in seiner Flotte – aber er sah, was die Zukunft des Welthandels werden sollte: Container.
Statt einfach Waren auf ein Schiff zu laden, ist es viel effizienter, sie zuerst in einen Container zu packen und dann die Container auf dem Schiff zu stapeln. Sind die Grössen der Container standardisiert, etwa auf 20 oder 40 Fuss Länge, geht das Be- und Entladen viel schneller. Aponte stellte seine Flotte in den 1980er Jahren komplett um.
Jetzt muss MSC Macht teilenBei aller Expansion wollte er sich nie abhängig machen. Aponte nahm nie Geld an der Börse auf, musste nie fremde Herren im Haus akzeptieren und an Miteigentümer Dividenden ausschütten. Bankkredite und vor allem reinvestierte Gewinne, darauf beruhte sein Aufstieg. Beschrieben wird der Geschäftsmann als pragmatisch, freundlich – aber auch vorausblickend, geschickt und entschieden.
So wie in der Corona-Krise: Da schossen die Frachtpreise in die Höhe, Reeder verdienten sich eine goldene Nase. Auch MSCs Erträge und Apontes Vermögen explodierten. Aber MSC reinvestierte. Nicht nur orderte Aponte neue Schiffe, so wie es die Konkurrenten auch taten. Er nahm ihnen abermals alte Schiffe ab. «MSC hätte den letzten Schrott aufgekauft», sagt ein Kenner kopfschüttelnd. Aber heute besitzt MSC 650 Containerschiffe, fast doppelt so viele wie der nächstgrössere Konkurrent A. P. Moeller-Maersk. Weitere 129 sind bestellt.
Schiffe brauchen Häfen, also investiert MSC in den Einfluss auf Hafenterminals. Die Konzerntochter TIL ist bereits an mehr als 70 Anlagen beteiligt. Bald sollen es 43 mehr sein, denn zusammen mit dem amerikanischen Asset Manager Blackrock möchte TIL einen Grossteil vom Hafengeschäft des Hongkonger Milliardärs Li Ka-shing kaufen. Die Transaktion im Wert von 23 Milliarden Dollar soll durch die gute Beziehung von Gianluigi Aponte zu Li ermöglicht worden sein.
Doch der im März angekündigte Verkauf liegt auf Eis. Denn zu den 43 Terminals gehören auch zwei Hafenanlagen am strategisch wichtigen Panamakanal. Der chinesische Staat ist nicht davon begeistert, dort durch Lis Verkauf an Einfluss zu verlieren. Es scheint, dass die von Peking kontrollierte Cosco, selbst eine der weltgrössten Reedereien, in das Konsortium einsteigen will und Vetorechte verlangt. Fracht ist Macht – und jetzt ist MSC so gross geworden, dass selbst ein Gianluigi Aponte Macht teilen muss.
Wie viel leichter ist es da, aus der Liebe der Menschen zur See ein Geschäft zu machen? 1987 kaufte Aponte eine kleine, insolvente Kreuzfahrtlinie. Er legte damit den Grundstein für die spätere MSC Cruises. Seine Gruppe tätigte weitere, überschaubare Übernahmen im Logistiksektor, kaufte aber auch fachfremd zu: zum Beispiel vor zwei Jahren, als MSC Grossaktionär beim Schweizer Spitalbetreiber Hirslanden wurde.
«Wir sind mehr im Büro aufgewachsen als ausserhalb»Die Aponte-Familie lebt diskret in mehreren Genfer Villen. Zu den Annehmlichkeiten des Sitzes gehören dem Vernehmen nach auch vorteilhafte Steuerdeals, die MSC mit der Stadt geschlossen hat. Aus guten Gründen: Das Magazin «Forbes» veranschlagt das Vermögen des Patrons und seiner Frau auf zusammengenommen umgerechnet 63 Milliarden Franken.
Ein Vorteil blieb den Apontes allerdings verwehrt: Schweizer Reeder weibelten lange Zeit für den Ersatz einer normalen Gewinnsteuer durch eine Tonnagesteuer, wie sie in anderen Ländern Praxis ist. Dabei werden die Firmen nach ihrer Frachtkapazität besteuert, nicht nach dem Unternehmensergebnis. Sie zahlen so in der Regel deutlich weniger. Doch die Steuerreform erlitt 2024 Schiffbruch im Parlament.
Noch ist offen, ob es der Juso-Initiative zur Erbschaftssteuer ähnlich ergeht. Der Vorstoss, der Ende November zur Abstimmung kommt, will Erbschaften von über 50 Millionen Franken mit einer Abgabe von 50 Prozent belegen. Das dürfte die Residenz der Familie in der Schweiz infrage stellen. Denn MSC ist für Gianluigi Aponte ein Mehrgenerationenprojekt.
Der Patron hat früh die Weichen gestellt, damit seine Kinder an wenig anderes denken als das Unternehmen. «Wir sind mehr im Büro aufgewachsen als ausserhalb. Das hier ist unsere Familie», erklärte Tochter Alexa im zuvor erwähnten Firmenvideo. Ihr Bruder Diego studierte Seefahrt und arbeitete als Ingenieur auf MSC-Schiffen, bevor er in das Management einstieg und unter anderem das Terminalgeschäft aufbaute.
Auch Diego bekräftigte bereits, wie sehr er hoffe, dass die Kinder der dritten Generation denselben Weg einschlagen würden wie er und seine Schwester. Wie man den Nachwuchs früh auf den Geschmack bringen kann, wissen die Apontes: Die Enkel durften bereits MSC-Schiffe taufen. Wer will danach nicht selbst Kapitän werden?
nzz.ch