Das Geld für den Bahnausbau wird immer knapper. Nun will die ÖV-Branche das Stimmvolk mobilisieren


Christian Beutler / Keystone
Das Büro von Ueli Stückelberger in Bern ist karg eingerichtet. An der Wand hängen einzig zwei alte, gerahmte Abstimmungsplakate. Sie erinnern den Direktor des Verbandes öffentlicher Verkehr (VöV) an den wohl grössten politischen Erfolg seiner Laufbahn. 2014 stellten die Stimmbürger die Finanzierung und den Ausbau des Bahnnetzes auf völlig neue Füsse.
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Fabi hiess die Vorlage, kurz für Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur. Sie brachte Geld für den Bau neuer Strecken sowie den Schienenunterhalt. Sie vereinfachte die Planung massiv. Doch noch viel wichtiger: Die Stimmbürger legten mit ihrem deutlichen Ja ein Bekenntnis zur Eisenbahn ab – eines, das sie mit Milliarden unterstrichen.
Kosten explodierenEin Jahrzehnt später ist die Euphorie verflogen. Der Bund muss sparen, die Kosten für den geplanten Ausbau klettern in ungeahnte Höhen. Anfang Jahr ordnete Verkehrsminister Albert Rösti einen Marschhalt an. Der Bund lässt die Ausbauvorhaben nun vom ETH-Professor Ulrich Weidmann überprüfen.
Das hat Stückelbergers Verband aufgeschreckt. Im VöV sind die Transportunternehmen organisiert – von den SBB über regionale Bahnen bis zu kleinen Busbetrieben. Sie wollen gegen die Beschneidung ihrer Finanzmittel kämpfen. Für die prominenteste Gegenmassnahme mobilisieren sie erneut ihren wichtigsten Verbündeten: das Stimmvolk.
Wie der VöV-Direktor Stückelberger bestätigt, strebt die ÖV-Branche eine neue Volksabstimmung an. Sie soll den Bahninfrastrukturfonds (BIF) stärken – jenes zentrale Instrument, das 2014 durch die Fabi-Vorlage geschaffen wurde. Der Fonds wird heute jährlich mit über 5 Milliarden Franken gespeist – Geld für den Unterhalt des Netzes und für Ausbauprojekte. Doch er steht unter Druck. 2023 stammte gut die Hälfte der Einlagen aus dem allgemeinen Bundeshaushalt. Der Bund will diesen Anteil im Rahmen seines Entlastungspaketes um mehrere hundert Millionen Franken pro Jahr kürzen.
Eine weitere Einnahmequelle des Fonds ist ein bis 2030 befristetes Mehrwertsteuerpromille, das jährlich 300 bis 400 Millionen Franken einbringt. «Angesichts der wachsenden Probleme des Fonds möchten wir diese Frist verlängern», sagt Ueli Stückelberger. Weil das befristete Promille in der Verfassung verankert ist, braucht es dafür eine Volksabstimmung. Sie könnte 2028 oder 2029 stattfinden.
Unterhalt verschlingt mehr MittelDer Fonds habe sich sehr bewährt, sagt Stückelberger. Gleichzeitig müssten die zunehmenden Finanzierungsschwierigkeiten aber allen vor Augen führen, dass es Anpassungen brauche.
Tatsächlich kämpft der Fonds mit mehreren Problemen. Weil das Schienennetz ständig wächst und komplexer wird, verschlingt der Unterhalt einen stetig höheren Anteil seiner Mittel. Die Bauteuerung hat ein Ausmass angenommen, das bei seiner Gründung im Jahr 2016 nicht vorhersehbar gewesen war, wie Stückelberger sagt.
Als der Fonds ins Leben gerufen wurde, ging man ausserdem davon aus, dass der Ausbaubedarf irgendwann abflachen werde. Das sieht heute anders aus. Die Bevölkerung wächst weiter, der Druck auf das Bahnsystem steigt. Die SBB vermeldeten für 2024 einen Passagierrekord.
Das überraschende Nein zum Autobahnausbau im November des letzten Jahres hat zudem gezeigt, wie schwer es neue Nationalstrassenprojekte haben. Grüne Wiesen durch Autobahnen ersetzen? «Das ist politisch kaum noch durchzubringen», sagt der ÖV-Verbands-Direktor.
Stückelbergers Fazit fällt deutlich aus: Die Bedeutung des öffentlichen Verkehrs wachse – doch die verfügbaren Mittel sollten sinken. «Das kann unmöglich aufgehen.»
Verschuldung soll stehenbleibenDie ÖV-Unternehmen wollen deshalb nicht nur die Befristung des Mehrwertsteuerpromilles aufheben, sondern den Bahninfrastrukturfonds mit einer weiteren Massnahme entlasten. Der Fonds ist aus historischen und organisatorischen Gründen gegenüber dem Bund verschuldet. Würde die Rückzahlungsfrist verlängert, könnten jährlich weitere 200 bis 300 Millionen Franken frei werden.
Eine Änderung will der Verband auch bei der Finanzierung von ÖV-Projekten in den Agglomerationen erreichen. Heute entscheiden sich viele Regionen für S-Bahn-Projekte – oft aus finanziellem Eigennutz: Solche Vorhaben werden ebenfalls aus dem Bahninfrastrukturfonds finanziert – und zwar zu 100 Prozent.
Neue Tramlinien oder Tramerweiterungen hingegen müssen an andere Fördertöpfe des Bundes gelangen. Diese decken in der Regel aber nur 35 bis 40 Prozent der Projektkosten. Den Rest müssen Städte und Regionen selbst aufbringen. Aus Sicht vieler ÖV-Vertreter ist diese grosse Differenz ein massiver Fehlanreiz: Selbst wenn neue Tramlinien oder Tramverlängerungen die bessere Lösung wären, werden oft S-Bahnen gebaut.
Die ÖV-Vertreter fordern deshalb, dass der Bund seinen finanziellen Anteil bei Tramprojekten auf 70 Prozent erhöht. Das würde den Fehlanreiz beseitigen und den Bahninfrastrukturfonds entlasten, weil dort weniger S-Bahn-Projekte zur Finanzierung angemeldet würden.
Die ÖV-Branche will aber auch Zugeständnisse machen. Etwa bei der laufenden Überprüfung der Ausbauprojekte durch den Bund. Nicht jedes Projekt sei zwingend, sagt der Verbandschef Stückelberger. «Wir müssen uns auf jene Ausbauten konzentrieren, die dem ÖV-System als Ganzem am meisten bringen.»
Auch bei den Unternehmen selbst laufen Überlegungen zu weiteren Sparmassnahmen. So könnten Fahrzeuge länger im Einsatz bleiben als ursprünglich vorgesehen. Zudem arbeitet die Branche mit dem Bundesamt für Verkehr daran, Normen zu vereinfachen, um die Baukosten im Schienensystem zu senken.
Transportunternehmen sind auch dazu übergegangen, den Fahrplan nicht mehr um jeden Preis auszubauen. Einige städtische Verkehrsbetriebe bieten an Freitagen bereits weniger Verbindungen an, weil weniger Pendler unterwegs sind. Solche Massnahmen seien sinnvoll und würden von den Fahrgästen auch akzeptiert, sagt Stückelberger.
Keine PreiserhöhungEinen Weg allerdings schliessen die ÖV-Unternehmen klar aus: die drohende Finanzierungslücke über höhere Billettpreise zu schliessen. «Für uns ist klar: Wenn wir die Preise erhöhen, dann nur, um die aufgelaufene Teuerung ungefähr auszugleichen», sagt Stückelberger.
Eine darüber hinausgehende Preiserhöhung lehnen die ÖV-Unternehmen ab. Das Argument: Höhere Preise würden die strukturellen Finanzprobleme nicht lösen, dafür sind die Defizite schlicht zu gross. Sie könnten sogar einen gegenteiligen Effekt haben: dass die Bahn Kunden und so Einnahmen verliert.
Laut Ueli Stückelberger steht sein Verband bereits in Gesprächen mit dem Departement von Bundesrat Albert Rösti. Der Slogan auf dem alten Plakat in Stückelbergers Büro – «Damit die Schweiz auch morgen einen starken öV hat» – dürfte bald wieder Programm sein. Zwar geht es heute nicht mehr um so viel Geld wie 2014. Doch in Zeiten knapper Bundesfinanzen wäre ein erneuter Liebesbeweis der Schweiz an der Urne für die Bahnen Gold wert.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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