20 Jahre Podcasts: Warum die Branche erneut vor einem Umbruch steht
Eines der beliebtesten Medienformate der Gegenwart ist benannt nach einem Produkt, das es gar nicht mehr gibt. Der Podcast bekam seinen Namen einst durch Apples iPod – jenem kleinen, handlichen Medienplayer des kalifornischen Tech-Konzerns. Der britische Digitaljournalist Ben Hammersley gilt als der Erste, der den Begriff 2004 in einem „Guardian”-Artikel benutzte – damals spekulierte er, wie man die neue Form des „Amateur-Radiomachens“ denn wohl nennen könnte. Kurz darauf, vor ziemlich genau 20 Jahren, integrierte Apple die Podcast-Funktion offiziell in seine Musiksoftware iTunes – und machte das Format massentauglich.
Der iPod wurde irgendwann durch das Smartphone abgelöst und wird schon seit Jahren nicht mehr hergestellt. Das Medium Podcast hingegen ist heute erfolgreicher denn je: Ganze Branchen haben sich um das Audioformat entwickelt, bekannte Podcast-Hosts erreichen wöchentlich ein Millionenpublikum – und manch einer wurde überhaupt erst durch das Format zum Star.
Und doch unterliegt die Audiobranche einem ständigen Wandel. Aktuelle Entwicklungen am Markt könnten Podcasterinnen und Podcaster nun erneut vor Veränderungen stellen. Aber nicht nur die.
Dass aus dem Podcast-Format überhaupt mal ein Massenmarkt werden würde, hätte Anfang der Nullerjahre kaum jemand für möglich gehalten: Das Internet ist zu diesem Zeitpunkt noch jung, die Bandbreiten sind gering – und das Medienangebot ist fest in den Händen von TV-Konzernen, Zeitungsverlagen und Radiostationen. Frühe soziale Massenmedien wie Myspace schaffen erst einige Jahre später den Durchbruch.
Dennoch gibt es schon damals Pioniere des Podcastings: Tristan Louis und Dave Winer gelten heute als Erfinder der ersten selbst veröffentlichten Audioshow, als erster Podcast-Host gilt der MTV-Moderator Adam Curry.
Curry und Winer entwickeln Anfang der Nullerjahre ein Programm, mit dem man mithilfe eines RSS-Feeds Onlineradiosendungen aus dem Internet direkt auf Apples iPod herunterladen kann. Mit der offiziellen Podcast-Integration in iTunes beginnen auch erste Prominente, das Medium zu nutzen – etwa der britische Comedian Ricky Gervais.
Auch in Deutschland gibt es Pioniere: Als eine der ersten deutschen Produktionen gilt ab 2005 „Schlaflos in München“ der Journalistin Larissa Vassilian. Das „Küchenradio“ ist ab 2005 das erste Podcast-Format von unter anderem Philip Banse, der heute durch den Politik-Podcast „Lage der Nation“ bekannt ist. Noch immer aktiv aus dieser Zeit sind Produktionen wie der „Whocast“ über „Doctor Who“ (ab 2006), das „Chaosradio“ vom Chaos Computer Club (ab 2006) oder auch die „Medienkuh“ über die Fernsehbranche (ab 2009).
Auch die öffentlich-rechtlichen Sender beginnen mit der Zeit, ausgewählte Radioformate oder Talkshows als Podcast anzubieten. Bleibt das Medium zunächst noch eine Nische, gelingt dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) einige Jahre später aber ein Coup: Die Radiosendung „Sanft & Sorgfältig“ mit Jan Böhmermann und Olli Schulz mausert sich zur ständigen Nummer eins der Podcasts-Charts und ebnet den Weg für das heute erfolgreiche Genre des „Laberpodcasts”.
Mehr noch: Die Nachfolgeproduktion mit Böhmermann und Schulz („Fest & Flauschig”) ist 2016 auch der erste Podcast, der nicht mehr plattformunabhängig per RSS-Feed verfügbar ist – sondern exklusiv auf dem schwedischen Musikstreamingdienst Spotify. Wenig später folgen auch Exklusiv-Produktionen die ausschließlich mit einem Bezahlabo zu hören sind. Anbieter sind hier etwa Audible von Amazon oder der dänische Dienst Podimo.
Mit den Hobbykeller-Produktionen Anfang der Nullerjahre hat die Podcast-Branche heute kaum noch etwas zu tun. Neben Plattformen und Podcast-Stars haben sich in den vergangenen Jahren auch zahlreiche Produktionsfirmen und Vermarkter am Markt etabliert, die allein in Deutschland hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen. Verlässliche Zahlen zum Erfolg in der Podcast-Branche gibt es nicht – Abrufzahlen sind traditionell auf den Plattformen nicht einsehbar. Eine Untersuchung der Medienberatungsfirma Owl & Co geht aber davon aus, dass sich der aktuelle Werbeumsatz der Branche weltweit auf 7,3 Milliarden US-Dollar jährlich beläuft.
Auch inhaltlich ist das Angebot heute sehr viel breiter gefächert als zum Start: Geht man nach den aktuellen Spotify-Charts, dann hört das deutsche Publikum am liebsten Comedy-Podcasts wie „Gemischtes Hack“ von Felix Lobrecht und Tommi Schmitt, gefolgt von True-Crime-Formaten wie „Mordlust“ und Promi-Podcasts wie „Kaulitz Hills“ der Tokio-Hotel-Zwillinge Tom und Bill Kaulitz. Ebenfalls beliebt: Zahlreiche Influencer-Podcasts wie der „Edeltalk“ von Papaplatte und Reeze oder „Dick & Doof“ von Laserluca und Selfiesandra.
Politik-Podcasts wie „Lanz und Precht“, „Ronzheimer“ und „Apokalypse & Filterkaffee“ finden sich ebenfalls auf den oberen Rängen der Liste, genauso wie lange Erzählformate mit mehreren Episoden, die inzwischen aufwendigen Serienproduktionen ähneln. Ein aktuelles Beispiel ist die Produktion „Die Peter Thiel Story“ des Deutschlandfunk, die aktuell an der Spitze der Podcast-Charts von Apple steht.
Ein bisschen ungewöhnlich ist der Hype um die Audioshows durchaus – schließlich bricht er mit sämtlichen Entwicklungen der restlichen Medienwelt. Während Kurzvideos auf TikTok, Instagram und Youtube boomen, Musik immer kürzer wird und die Aufmerksamkeitsspanne durch soziale Medien immer geringer zu werden scheint, kontert das Podcast-Format seit Jahren mit ausgeruhten, teils stundenlangen Gesprächsformaten – und es sieht wenig danach aus, dass der Medienwandel das ändern würde.
Podcasts müssen nicht mit schnellen Schnitten überzeugen, laufen kaum Gefahr, dass jemand zwischendrin abschaltet oder weiterwischt, sind nicht getrieben von Algorithmen – auch gibt es keinen Sendeschluss oder eine zeitliche Begrenzung. In kaum einem anderen Format kann so ausführlich über Themen debattiert werden wie in diesem.
Gerade weil Hörerinnen und Hörer so viel Zeit mit ihren Lieblings-Podcasts verbringen, ist das für die Werbebranche besonders attraktiv: Eine enge Verbindung zum Publikum gilt beim Kampf um die Aufmerksamkeit als besonders wertvoll. Auch politische Akteure haben das erkannt: Im US-Wahlkampf galt Donald Trumps Präsenz in langen Podcastformaten und Twitch-Streams als ein Faktor, warum der heutige Präsident insbesondere bei jungen Männern ein gutes Wahlergebnis einfahren konnte.

Sie sind männlich, laut und überschreiten immer wieder Grenzen: In den sozialen Medien haben sich Influencer ihre ganz eigenen, reaktionären Echokammern gebaut. Das Wahlkampfteam von Donald Trump setzte die jungen Männer geschickt für die eigene Agenda ein. Eine Taktik, die auch in Deutschland Schule machen könnte.
Dass die Podcast-Branche auch in zehn Jahren noch so aussehen wird wie heute, ist so gut wie ausgeschlossen. Seit Beginn sind Podcasterinnen und Podcaster mit dem ständigen Wandel ihres Mediums konfrontiert. Die Kommerzialisierung und das Aufkommen der Exklusiv-Podcasts Mitte der 2010er Jahre gehörte dazu.
Erstaunlicherweise ist diese Entwicklung inzwischen wieder auf dem Rückzug: Spotify etwa gibt seine Flaggschiff-Produktionen inzwischen auch für andere Plattformen frei – hohe Werbeerlöse scheinen inzwischen wichtiger als exklusive Bindung.
Derweil arbeiten andere an Ideen, um das Podcast-Genre weiterzuwentwickeln: Mit CampfireFM startete kürzlich eine deutsche App, die das Community-Erlebnis zwischen Podcastern und ihren Fans verbessern soll.
Ein weiterer Trend sind Video-Aufnahmen. Waren Podcasts über Jahre reine Audioproduktionen, die man beim Autofahren, in der Bahn oder beim Bügeln hörte, setzen inzwischen viele Produzentinnen und Produzenten auch auf begleitende Bewegtbilder. Manche zeichnen ihre Gespräche vor der Webcam auf, andere haben sich gar aufwendige Kulissen gebaut, die denen einer Fernsehtalkshow in nichts mehr nachstehen.
Kurze Videos, die aus Podcast-Aufnahmen herausgeschnitten werden, fluten inzwischen die sozialen Medien und bilden dort fast ein eigenständiges Genre. Auf der Plattform TikTok sorgte erst vor wenigen Tagen ein Clip aus dem „Unter uns gesagt“-Podcast von Janne Rust für einen viralen Moment: Der Culcha-Candela-Sänger Mateo Jasik hatte versucht, sich für eine missglückte Konversation mit einem Fan zu rechtfertigen. Der Clip erhielt hunderttausende Aufrufe – und hätte sie womöglich niemals erreicht, hätte es das vielsagende Bewegtbild dazu nicht gegeben.
Ein anderer Effekt: Im Herbst vergangenen Jahres deuteten Zahlen von Edison Research darauf hin, dass die Videoplattform Youtube seine Konkurrenten Apple Podcasts und insbesondere Platzhirsch Spotify in der Podcast-Nutzung in den USA inzwischen überholt hat. Und die erfolgreichsten Formate auf der Plattform haben alle auch begleitendes Bewegtbild.
Bedeutet diese Entwicklung, dass die Zukunft des Podcastens beim Video liegt, und dass sich Podcasterinnen und Podcaster umstellen müssen? Vielleicht. Sehr viel wahrscheinlicher ist aber, dass der Trend Auswirkungen auf eine ganz andere Branche haben wird: das Fernsehen.
Youtube hatte zuletzt auch vermeldet, dass die Inhalte der Plattform immer häufiger auf großen Fernsehgeräten konsumiert werden. Laut YouTube-CEO Neal Mohan haben TV-Bildschirme in den USA erstmals das Smartphone als Gerät für die häufigste Youtube-Nutzung abgelöst. Klassische Youtube-Formate dürften dazu beigetragen haben – aber angesichts der wachsenden Zahlen ganz offensichtlich auch Videopodcasts.
Gut möglich, dass sich das altbewährte Podcast-Format gerade von einem Nebenbei-Medium zu einem wandelt, das man sich auch abends Zuhause auf dem Sofa anschaut. Für viele Konsumentinnen und Konsumenten dürften die langen Gesprächsformate in ihren schicken Studios längst eine verlockende Alternative zur klassischen Fernseh-Talkshow sein. Während sich hier Protagonisten streiten und ins Wort fallen, und der Moderator stets die Zeit im Rücken hat, bieten Videopodcast genau das, was es in turbulenten Zeiten am nötigsten braucht: einen ausgeruhten Blick auf Themen, ohne Zeitdruck und übermäßige Effekthascherei. Für den Podcast könnte dieser Umstand noch eine rosige Zukunft bedeuten.
rnd