AfD-Fraktion: Wie radikal wollen sie sein?
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Wie man mit diesen Leuten nun umgeht, da wollen sich Alice Weidel und Tino Chrupalla lieber nicht festlegen. Am Montagmorgen nach der Wahl sitzen die AfD-Partei- und Fraktionschefs in der Bundespressekonferenz in Berlin, gut gelaunt und gestärkt durch eine Wahl, die die Partei über die 20-Prozent-Schwelle getragen hat. Doch selbst jetzt, da sie die Richtung vorgeben könnten, wollen sie sich nicht dazu erklären, wie sie mit neu gewählten Abgeordneten verfahren, die selbst Parteifreunden als zu extrem oder zu belastet gelten. „Wir greifen der Entscheidung der Fraktion“, sagt Weidel, „natürlich nicht vorweg.“
Die AfD hat die Zahl ihrer Sitze im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 nahezu verdoppelt auf 152, darunter mehrere Abgeordnete, die man selbst bei der AfD als Problemfälle bezeichnen muss, allen voran Maximilian Krah und Matthias Helferich. Der EU-Abgeordnete Krah ist durch eine Reihe von Affären aufgefallen, durch Nähe zu Putin-Freunden und dem Regime in China. Vergangenen April hatte der Generalbundesanwalt einen seiner Assistenten im EU-Abgeordnetenbüro festnehmen lassen wegen des Verdachts der Spionage für China. Zudem trat Krah im Internetportal „Voice of Europe“ auf, das prorussische Propaganda verbreitete und im Verdacht steht, Teil eines Netzwerkes gewesen zu sein, das Geld aus Russland an EU-Abgeordnete verteilt haben soll. Gegen Krah selbst wird nicht ermittelt, er weist eine Verstrickung zurück.
Kommt Maximilian Krah gar nicht erst in die Bundestagsfraktion?Mitglieder der AfD-Spitze bezeichnen Krah zudem als Egozentriker, der nicht teamfähig sei. So gab er als EU-Spitzenkandidat der italienischen Zeitung La Repubblica – gegen die Absprachen mit der AfD-Führung, so der Vorwurf – ein Interview, in dem er Mitglieder der SS-Truppe in der NS-Zeit vor einer pauschalen Verurteilung in Schutz nahm, es seien „nicht alle Verbrecher“ gewesen. Die AfD-Führung hatte ihn daraufhin zum Rückzug aus dem Europawahlkampf gedrängt, in die AfD-Gruppe im EU-Parlament wurde er nicht aufgenommen.
So könnte es Krah nun auch in der Bundestagsfraktion ergehen. Er selbst glaube an eine Aufnahme, wie er der SZ vor der Wahl sagte. Zudem kann Krah mit seiner Popularität unter AfD-Anhängern argumentieren, er holte seinen sächsischen Wahlkreis direkt mit satten 44,2 Prozent. Nach Angaben eines Fraktionssprechers reicht eine Mehrheit der Fraktionsmitglieder, um einem Abgeordneten die Aufnahme in die Fraktion zu versagen.
Das gleiche Szenario könnte bei Matthias Helferich eintreten. Der Abgeordnete aus Dortmund hatte sich vor Jahren in privaten Chats als „das freundliche Gesicht des ns“ bezeichnet, also des Nationalsozialismus, zudem sprach er von sich als „demokratischer Freisler“. Roland Freisler hatte in der Nazizeit als Präsident des Volksgerichtshofs zahlreiche Todesurteile verhängt. Helferich hatte seine Äußerungen später als Ironie zu relativieren versucht, dennoch blieb er in dieser Wahlperiode fraktionsloser Abgeordneter. In der AfD NRW läuft ein Parteiausschlussverfahren gegen Helferich, er soll sich rassistisch geäußert haben, unter anderem indem er die Aussage „raus mit die Viecher“ in sozialen Medien geteilt haben soll. Der Landesparteitag wählte ihn trotzdem auf Listenplatz 6 zur Bundestagswahl, was ihm erneut den Weg ins Parlament ebnete.
Bemerkenswerten Neuzugang hat die AfD-Fraktion auch aus Thüringen. Der dortige Partei- und Fraktionschef Björn Höcke stand am Wahlabend neben Weidel und Chrupalla in Berlin, denn dies – so will er das verstanden wissen – ist auch sein Sieg. „In Thüringen waren wir von Anfang an Vorreiter dieser Erfolgsgeschichte, und so muß man das Ergebnis aus dem Herzen unserer Republik auch als Prophezeiung verstehen“, schrieb er am Sonntagabend auf Telegram. Der Verfassungsschutz stuft Höckes Landesverband als gesichert rechtsextremistisch ein.
Höcke hatte lange überlegt, selbst für ein Bundestagsmandat zu kandidieren, aber dann den entscheidenden Schritt doch nicht gewagt. Stattdessen ziehen nun gleich drei enge Vertraute von ihm in den Bundestag ein: Stefan Möller, sein Partei-Co-Chef in Thüringen, Torben Braga, bislang Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion in Erfurt, und Höckes Büroleiter Robert Teske.
Der 34-jährige Teske holte das Direktmandat im Wahlkreis Suhl-Schmalkalden-Meiningen-Hildburghausen-Sonneberg und trat damit den Beweis an, dass sich die AfD nicht zwangsläufig entzaubert, wenn sie erst einmal Verantwortung trägt, denn in Sonneberg stellt die AfD ihren ersten und bisher einzigen Landrat. Teske sprach am Sonntagabend von einem grandiosen Zeichen und versprach seinen Wählern: „Ihr werdet von mir hören.“ Teske mag im Auftreten moderat erscheinen, in den Positionen ist er nicht weniger radikal als Höcke.
Gleiches gilt für Braga, der das Direktmandat im Wahlkreis Altenburger Land II holte. Braga orchestrierte im vergangenen September beispielsweise die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtages, auf der der Alterspräsident der AfD stundenlang eine Änderung der Geschäftsordnung verhinderte und erst vom Verfassungsgericht gestoppt werden konnte.
Möller schließlich war bisher Höckes rechte Hand in Thüringen, ohne ihn wäre die Landtagsfraktion wahrscheinlich längst zerfallen. So kam auch der härteste Gegner des 49-Jährigen im Wahlkreis Wartburgkreis/Unstrut-Hainich-Kreis ausgerechnet von der AfD. Klaus Stöber hatte dort 2021 das Direktmandat für die AfD geholt. Im vergangenen Landtagswahlkampf hatte Stöber Kritik an Höcke geäußert und ihm einen Hang zur Egozentrik attestiert. Das Ergebnis waren ein Parteiausschlussverfahren gegen Stöber und Möllers Kandidatur in diesem Wahlkreis.
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